In ihrer Stopp-Acta-Kampagne verwenden die Piratenparteien aus der Schweiz, Deutschland, Mexico und weiteren Ländern eine Krake, die den Erdball umschlingt. Sie kommen damit in eine gefährliche Nähe des antisemitischen Stilmittels der Krake über dem Erdball. Dieses wird immer wieder bewusst eingesetzt, von Antisemiten und Neonazis, um dem Betrachter die Gefahr einer übermächtigen, gierigen, dunklen Bedrohung zu suggerieren.
In der antisemitischen Karikatur von Josef Plank aus dem Jahr 1938 umfasst die (jüdische) Krake mit ihren Tentakeln die Erde und wo sie hinfasst, läuft das Blut. Über dem Oktupus findet sich ein Davidstern.
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"Die Krake der Piratenpartei ist extrem erklärungsbedürftig, denn sie ist - ohne den entsprechenden Kontext - nicht als Daten-Krake erkennbar. Dieses gestalterische Problem hätte einfach gelöst werden können, indem zum Beispiel die Tentakeln der Krake als Computerkabel dargestellt werden."
Mit Verlaub: So ein Humbug! Die Krakenabbildung der Piraten ist nicht "extrem erklärungsbedürftig", denn der entsprechende Kontext (sprich: gegen ACTA) ist in dem Bild explizit in Worten mit angegeben. Es mag ja sein, dass Robert Hampicke sich persönlich eine Datenkrake anders vorstellt, aber solch subjektiver Eindruck ist hier völlig zweitrangig. Entscheidend ist, ob sich das Motiv aus sich selbst heraus oder vermittelt über den Kontext erklärt. Bei der von der Piratenpartei genutzten Abbildung ist sowohl im Motiv selbst wie auch mittels des Kontextes Inhalt und Aussage klar dargelegt.
Ich finde den Beitrag von Hampicke zudem ziemlich aufgeblasen: Das Modell von Peirce ist nun wirklich banal, Linguistikstoff 1. Semester; meines Wissens in einigen Bundesländern auch Teil des Deutschunterrichts in Schulen. Hier wird so getan, als ob das etwas ganz Neues oder Hochtrabendes sei. - Ist es aber, wie gesagt, nicht.
Daraus dann die folgende Ableitung zu bilden, "Das macht sie [die Krakenabbildung der Piratenpartei] der Krake aus dem âStürmerâ von 1938 so ähnlich und legt die Vermutung nahe, dass sich hinter ihr ebenfalls ein geschlossenes Weltbild verbergen könnte." zeugt von billigem Zurechtbiegen für den eigenen (schon vorher feststehenden) "Begründungs"zusammenhang. Wie schon oben dargelegt, ist die Ausgangsüberlegung einer Analogie zum "Stürmer" schon falsch hergeleitet, auf die dann der lange Sermon über eben dieses Blatt folgt. Quintessenz dieses über mehrere Absätze gehenden Textabschnitts ist dabei, dass beim Leser/ bei der Leserin der Eindruck hängen bleiben möge, dass die Piratenpartei irgendwie in der Ecke der Nazis zu verorten sei. Hier wird schlicht versucht, der Piratenpartei eine negative Konnotation (konkret: Nähe zum Faschismus) anzudichten. Mensch mag über die Piratenpartei unterschiedlicher Meinung sein, sie vielleicht für unsinnig finden oder für typisch idealistisch-kleinbürgerlichen Murks halten, sich über deren doch oftmals recht unbedarften Herangehensweise an Politik aufregen, aber eines sind die Piraten sicher nicht: faschistisch oder antisemitisch.
Wer sich das Bild aus der Nazi-Postille "Stürmer" einmal anschaut, wird sofort sehen, dass diese über dem Haupt einen Davidstern trägt, also der "Stürmer"-Zeichner hier explizit die inhaltliche Aussage festgemacht hat, nämlich dass die Krake jüdisch sei, ergo eine jüdisch(-bolschewistisch)e Weltverschwörung vorläge. Eine Krake ohne Davidstern hat also selbst 1938, also 5 Jahre nach der Machtübertragung an die deutschen Nazis, offenbar nicht das Zeug zu einem Symbol (im Sinne Peirces) für diese Weltverschwörung gehabt. - Das darf mensch bei all den ausufernden Interpretationsverrenkungen auf NPD-Blog bitte einmal zur Kenntnis nehmen.
Um (noch einmal) den Vergleich mit Demonstrationen zu ziehen: Nur weil Nazis die Aktionsform Demonstration nutzen, sind dadurch nicht auch alle übrigen Demonstrationen faschistischer Natur. Der Charakter und Inhalt einer Demonstration wird entweder explizit (Motto der Demo, Mitführen eindeutiger Symbolik, Slogans auf Transparenten) oder kontextual (wer nimmt an der Demo teil, was soll mit der Demo bezweckt werden) erkennbar. Bei einer Nazi-Demo ist dies im Regelfall durch eindeutige Slogans oder Mitführen bestimmter rechtsextremer Symbole erkennbar, bei Mimikri-Demos der Nazis (Stichworte z.B.: Auftreten der "Autonomen Nationalisten") vielleicht auf den ersten Blick für Passant_innen nicht gleich als Faschist_innenaufmarsch erkennbar, aber letztlich durch personelle Zusammensetzung und Zielrichtung doch eindeutig definierbar. Im Gegensatz dazu hat die gleiche Aktionsform bei z.B. antifaschistischen oder gewerkschaftlichen Demonstrationen unbestreitbar einen völlig anderen Inhalt, der dort sich durch entsprechende Motti, Slogans und personelle Zusammensetzung offenbart. Es besteht also auch hier der Unterschied zwischen Form und Inhalt. Eine Form allein sagt noch nichts über den Inhalt aus.
PS: Peinlich und geschichtsblind ist es überdies, wenn ein Autor auf einem antifaschistischen Portal wie NPD-Blog von "Machtergreifung der NSDAP" spricht. Bekanntlich haben die Nazis nicht die "Macht ergriffen" (dieser Versuch schlug 1923 fehl), sondern ihnen wurde vom Monopolkapital die Macht bewusst übertragen, was dann im sog. "Ermächtigungsgesetz" im Reichstag durch alle bürgerlichen Parteien noch einmal parlamentarisch abgenickt wurde.
Kommentar zum Artikel von secarts:
Donnerstag, 05.08.2010 - 14:15
Der NPD-Blog hat nochmal nachgelegt und die Krakendarstellung dezidierter untersucht:
In ihrer Stopp-Acta-Kampagne verwenden Piratenparteien verschiedener Länder das Motiv einer Krake, die den Erdball mit ihren Tentakeln umschlingt. Die Bildkomposition ist faktisch identisch, mit einer Darstellung aus dem Jahr 1938, die in der antisemitische Wochenzeitung âder Stürmerâ publiziert wurde. [Zum Artikel]
Von Dipl.-Des. âVisuelle Kommunikationâ Robert Hampicke für NPD-BLOG.INFO
@ Secarts: "Deswegen ist es trotzdem immer noch falsch, die EU, die NATO oder die WTO anzugreifen, ohne auf den Charakter dieser Strukturen als - temporäre, zwischenimperialistische - Bündnisse aufmerksam zu machen." - Solch ein Aufmerksammachen wirst Du aber kaum von "bürgerlich-demokratischen Organisationen", wie Du sie nennst, erwarten können. Was Du aber erwarten kannst von denen, ist das Aufmerksammachen auf und der Protest gegen Einschränkungen der Internetnutzung unter dem Mantel des Kampfes "gegen Produktpiraterie". Und die Kritik an Acta geht eben nicht gegen einzelimperialistische Interessen, sondern gegen die von den besagten imperialistischen Staaten gemeinsam getragene Plattform Acta. Dass diese Staaten sich in anderen Punkten untereinander spinnefeind sind und auf ihren eigenen (bzw. den des heimischen Monopolkapitals) Vorteil aus sind, ist doch für den konkreten Punkt Acta erst einmal völlig nebensächlich. Anders wäre es, wenn die Piratenpartei z.B. eine Kampagne startete, mit der sie den deutschen Imperialismus (oder ein anderes nationales Monopolkapital) gegen Angriffe von auÃen in Schutz nähme oder anderweitig Partei für eine imperialistische Seite einnähme. - Ist aber hier nicht der Fall (und würde ich bei der Piratenpartei derzeit auch nicht annehmen wollen).
Den "Ruch reaktionärer Verschwörungstheorien" bringt ja nicht das Krakenbildnis, sondern die einseitige und verzerrende Interpretation durch den NPD-Blog-Autor. Wie gesagt, das Bild der Datenkrake hat inhaltlich nicht viel gemein mit dem des "Verschwörungs"-Kraken. Da sollten die Oktopusse schon schön auseinandergehalten werden!
Apropo Tintenfisch: "Und auÃerdem schmecken Kraken ausgesprochen schmackhaft - in der südchinesischen Küche werden sie gerne und bekömmlich zubereitet..." - Würde ich ja gerne mal probieren. Yummi-Yummi!
"Gerade der konkrete Fall Acta zeigt, dass an diesem Punkt (nämlich Sicherung gegen "Produktpiraterie") die beteiligten imperialistischen Staaten gemeinsame Interessen haben und ein zeitweiliges Bündnis eingehen."
Ja, das wird sicher so sein. Ebenso, wie imperialistische Staaten auch im Falle EU, NATO, WTO und wasweiÃichnoch gemeinsame Interessen haben. Und deswegen zeitweilige Bündnisse eingehen.
Daswegen ist es trotzdem immer noch falsch, die EU, die NATO oder die WTO anzugreifen, ohne auf den Charakter dieser Strukturen als - temporäre, zwischenimperialistische - Bündnisse aufmerksam zu machen. Ich bin mir jetzt mal aus dem Stehgreif recht sicher, dass wir beide da auch glatt einer Meinung wären, wenn es bspw. um irgendwelche "Anti-EU-Brüssel-Bonzokratie"-Kampagnen von populistisch-rechts ginge: natürlich führt das Bündnisprojekt EU zu Korruption. Aber das ist kaum der Inhalt, sondern nur die Oberfläche. Ãbertragen: genauso wenig zielführend ist es, in diesem Falle irgendein "Acta" zu kritisieren, ohne auf die imperialistischen Interessen dahinter zu verweisen. Und solch eine Kampagne kann denn auch so nicht mehr werden als eine manichäische Darstellung einer Krake, die die Welt bedrückt.
"Kritisiert werden kann an der Piraten-Kampagne gerne, dass dort a) losgelöst vom Klassenstandpunkt argumentiert wird, b) einem absoluten Freiheitsbegriff aufgesessen wird und c) eine Analyse der innerimperialistischen Struktur unterlassen wird. "
Tja. Genau das würde ich nun hier nicht kritisieren. Nicht, weil es nicht fehlen würde - das tut es, und zwar nicht zu knapp. Sondern, weil ich dies alles zwar von kommunistischen, nicht aber von bürgerlich-demokratischen Organisationen erwarten kann. Von jenen erwarte ich einen demokratischen Minimalkonsens, der sich vielleicht am Ehesten so formulieren lieÃe: Vorsicht bei allem, was einen in den Ruch reaktionärer Verschwörungstheorien bringen kann. Das würde mir schon genügen, bei den "Piraten".
"Das ist ist also kein Verschwörungsgedöns, sondern es geht um ZentralisierungmaÃnahmen, die empirisch nachweisbar und von der herrschenden Klasse politisch-ökonomisch auch so gewollt sind."
Das "Verschwörungsdedöns" liegt hier nicht in der Feststellung, es mit expansiven, antidemokratischen kapitalistischen Systemen zu tun zu haben, sondern darin, dass zwischen der plutokratischen multilateralen "Krake" und "der Welt" der Widerspruch bestünde. Das Bild ist so simpel, wie es falsch ist: Neben einem (abstrakten) Gesamtwiderspruch zwischen Imperialismus ./. Nichtimperialismus geht ein konkreter Widerspruch in mannigfaltiger Form genau zwischen denjenigen imperialistischen Ländern durch, die hier als allesumfassende "Krake" halluziniert und simplifiziert werden. Und innerhalb dieser Widersprüche bewegen sich bspw. auch Datenschutzfragen: der Streit um "Google Streetview" gerade in Deutschland illustriert dies doch sehr hübsch. Sieht man diese Widersprüche nicht, bleiben Dinge wie bspw. die europäischen Tendenzen, datentechnisch gegenüber den USA unabhängig (und mithin selbstständig kriegsfähig) zu werden, völlig vernachlässigt. Das wiederum führt vielleicht zu einer gnostischen Weltsicht, in der bedrohliche Mächte irgendwie gegen die ganze Welt agieren, kaum aber zu konkreten Handlungshandreichungen oder gar Ermutigung zu einem erfolgreichen Kampf. Quod erat demonstrandum.
...by the way: falls hier der - völlig fehlgeleitete - Verdacht aufgekommen sein sollte, ich könne etwas gegen gemeine Octopodae (Achtarmige Tintenfische) haben, so muss ich dem in aller Schärfe widersprechen: Kraken sind höchst interessante, vom evolutionären Standpunkt aus gesehen geradezu erstaunliche Lebensformen, die der modernen Biologie noch lange nicht vollständig erschlossen sind. Ihr Lebensraum, oft gerade die Tiefsee, ist der Wissenschaft unbekannter als die Mondoberfläche. Und auÃerdem schmecken Kraken ausgesprochen schmackhaft - in der südchinesischen Küche werden sie gerne und bekömmlich zubereitet...
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Donnerstag, 22.07.2010 - 13:19
@ secarts: Wie Du jetzt hier auf den "US-Weltgendarm" kommst, erschlieÃt sich mir nicht so ganz. Weder ist der auf einem der beiden Krakenbilder zu sehen noch wird diese Art Kontextualität vom NPD-Blog hergestellt.
Gerade der konkrete Fall Acta zeigt, dass an diesem Punkt (nämlich Sicherung gegen "Produktpiraterie") die beteiligten imperialistischen Staaten gemeinsame Interessen haben und ein zeitweiliges Bündnis eingehen. Dass es innerhalb imperialistischer Auseinandersetzungen immer wieder Phasen gibt, wo entsprechende Bündnisse eingegangen werden, ist (zumindest hier auf der Secarts-Plattform) doch allgemein bekannt. Kritisiert werden kann an der Piraten-Kampagne gerne, dass dort a) losgelöst vom Klassenstandpunkt argumentiert wird, b) einem absoluten Freiheitsbegriff aufgesessen wird und c) eine Analyse der innerimperialistischen Struktur unterlassen wird. Das ist aber bei vermutlich 90% aller Kampagnen linker Gruppen der Fall, mal mehr mal weniger stark ausgeprägt.
"Warum soll man sich über irgendwelche schlecht aus Geschichtsbüchern kopierten Krakenbilder aufregen? Weil diese schon ein antisemitisches Weltbild transportieren? Nein. Weil zwischen Form und Inhalt eine Dialektik besteht: falsche Formen führen zu falschen Inhalten. Will heiÃen: sind erst mal genügend Stereotype von schurkischen, übermächtigen und verschwörerischen Mächten in die Köpfe gebrannt, hat die genuine antisemitische Propaganda (a la der "Stürmer") irgendwann verdammt leichtes Spiel."
1. Diese Stereotypbildungen wird mensch nicht dadurch aufheben, indem mensch das Ganze zusätzlich noch - wie NPD-Blog das getan hat - antisemitisch konnotiert.
2. Dass Kraken zwangsläufig in unserer Gesellschaft mit "schurkischen, übermachtigen und verschwörerischen Mächten" in Zusammenhang gebracht werden, wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls spricht der Hype um die Kraken Paul (und in Hamburg) Raul dagegen. ;)
3. AuÃerdem muss mensch sich als Linke_r nicht jeden "Stürmer"-Stiefel anziehen. Wie gesagt: Nur weil mensch einen Kraken irgendwo in den politischen Kontext einführt, ist mensch noch nicht Antisemit oder erleichtert mensch das Andocken genuin antisemitischer Propaganda. An dem Bild der "Datenkrake" wie es u.a. die Piratenpartei nutzt, kann ich jedenfalls keine "verschwörerischen Mächte" ausmachen; hier geht es vielmehr um Zentralisierung von ÃberwachungsmaÃnahmen in einem kapitalistischen System. Das ist ist also kein Verschwörungsgedöns, sondern es geht um ZentralisierungmaÃnahmen, die empirisch nachweisbar und von der herrschenden Klasse politisch-ökonomisch auch so gewollt sind.
"Kommen wir zu den Krakendarstellungen zurück: [...] Während die Piratenpartei(en) damit gegen ein multilaterales Handelsabkommen (ein Projekt der derzeit führenden imperialistischen Staaten, um "Produktpiraterie" zu unterbinden) mobilisieren, hat die Stürmer-Zeichnung von 1938 einen gänzlich anderen Inhalt: Hier wird eine jüdisch(-boschewistisch)e Weltverschwörung herbeihalluziniert. "
Hmmm.
Eine (inhaltliche!) Parallele hast du gerade selbst benannt, retmarut: War es 1933-45 die Darstellung eines übermächtigen, bösartigen, bolschewistisch (UdSSR)-plutokratischen (GB, USA) Blocks finsterer Mächte (unter "Führung" des "Weltjudentums", und somit getreu der alten agitatorischen Maxime auf einen greifbaren personalisierten Feind gelenkt), so sehen wir uns heute einer - nicht per se antisemitischen, aber mit gleichgelagerten Stereotypen arbeitenden - Darstellung der Welt als unter der Knute der USA/Israels/der G7 oder 8 befindlich gegenüber.
Diese Weltsicht, die die USA und ihre "Vasallen" als "Weltgendarm" oder "Welthegemon" benennt, geht an der Realität vorbei, und muss es auch: es sind vielmehr die (konkreten, letztendlich in den Krieg führenden) zwischenimperialistischen Widersprüche, und nicht die (abstrakten und allgemeinen) globalimperialistischen Gemeinsamkeiten, die die Dynamik der Entwicklung bestimmen.
Warum soll man sich über irgendwelche schlecht aus Geschichtsbüchern kopierten Krakenbilder aufregen? Weil diese schon ein antisemitisches Weltbild transportieren? Nein. Weil zwischen Form und Inhalt eine Dialektik besteht: falsche Formen führen zu falschen Inhalten. Will heiÃen: sind erst mal genügend Stereotype von schurkischen, übermächtigen und verschwörerischen Mächten in die Köpfe gebrannt, hat die genuine antisemitische Propaganda (a la der "Stürmer") irgendwann verdammt leichtes Spiel.
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Donnerstag, 22.07.2010 - 12:19
Tierbildnisse in sozialen und politischen Aussagen sind grundsätzlich problematisch.
Wer aber allein die Verwendung eines Krakenbildnisses als Hinweis auf antisemitische ÃuÃerungen oder Nähe zu Antisemitismus heranzieht, hat offenbar ein sehr oberflächliches Verständnis von Antisemitismus. Lediglich die Form zu betrachten statt den Inhalt, a) zeugt von einem wenig reflektierten Umgang mit gesellschaftlichen Erscheinungen und b) führt letztlich zu absurden Schlussfolgerungen.
Wie grotesk solch ein rein auf die Form abzielendes Vergleichen ist, zeigen die folgenden kurzen Beispiele: Nur weil Faschist_innen Demonstrationen durchführen, sind nicht Demonstrationen schlechthin faschistisch. Nur weil Faschist_innen zu Wahlen kandidieren, sind nicht alle Wahlparteien faschistisch. Nur weil Faschist_innen gegen den deutschen Kriegseinsatz in Afghanistan sind, ist Kritik am Afghanistaneinsatz nicht gleich faschistisch. Nur weil Faschist_innen sich antikapitalistisch gebärden, ist Kritik am Kapitalismus nicht faschistisch. Etc.
Gerade in Teilen der bundesdeutschen Linken wird aber auf derartiger Oberflächlichkeit argumentiert, extremstes Beispiel die objektiv reaktionäre, sich aber links gebende Szene der sog. "Antideutschen". Statt inhaltlicher Analyse werden die absurdesten Formvergleiche angestellt (oder schlicht daraus abgeleitete Aussagen unterstellt). Das Problematische daran ist weniger, dass es derartige "antideutsche" Sekten gibt, sondern dass sie (immer noch) eine ideologische Wirkung auf etliche antifaschistische Strukturen haben.
Das hat natürlich Gründe und hängt v.a. mit einem eklatanten Mangel an marxistischer Bildung innerhalb linker Strukturen zusammen. Bürgerliche Ideologie (einmal an die Macht gekommen) muss zwangsläufig oberflächlich argumentieren, denn jeder ernstgemeinte tiefgehende Diskurs, der Zusammenhänge zwischen Basis und Ãberbau thematisiert, birgt letztlich die "Gefahr" (aus Sicht der Bourgeoisie) systemdestabilisierend zu wirken. Das hat schon Marx erkannt, der belegte, dass die bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften nach Smith und Ricardo jeglichen kritischen Gehalt vorloren hatten und nur noch der Apologie des Bestehenden (nämlich der bürgerlichen Klassenherrschaft) dienten.
Schönste Auswüchse im bürgerlichen politischen Diskurs für eine derartige Oberflächlichkeit sind seit Jahren die Extremismus- und Totalitarismusdoktrin. Dort wird ebenfalls rein von der Formseite her verglichen, um (wer hätte es gedacht?!) Linke mit Rechtsextremen gleich- und sich selbst als "Mitte" zusetzen.
Kommen wir zu den Krakendarstellungen zurück: Auch hier wurde von NPD-Blog ganz offensichtlich vom Inhaltlichen völlig abstrahiert. Während die Piratenpartei(en) damit gegen ein multilaterales Handelsabkommen (ein Projekt der derzeit führenden imperialistischen Staaten, um "Produktpiraterie" zu unterbinden) mobilisieren, hat die Stürmer-Zeichnung von 1938 einen gänzlich anderen Inhalt: Hier wird eine jüdisch(-boschewistisch)e Weltverschwörung herbeihalluziniert. Ziel der Nazi-Darstellung der Krake soll zum einen der stärkeren Verankerung antisemitischer Ideologie dienen, zum anderen soll sie natürlich auch davon ablenken, dass seit 1933 der deutsche Imperialismus zum Raubkrieg gegen seine Nachbarn rüstet. Wenn schon eine Krakendarstellung, dann wäre die des Deutschen Reiches als Oktopus weitaus erhellender: Erst wurde das Saarland angeschlossen, dann Ãsterreich, danach im Münchner Abkommen das "Sudentenland". Dass dem weitere, v.a. militärisch geführte "Angliederungen" und Eroberungen folgen werden, war schon damals offensichtlich; nicht umsonst hatte das Deutsche Reich die Wehrpflicht wieder eingeführt, seine Rüstungsproduktion angekurbelt und im spanischen Bürgerkrieg die neuen Waffensysteme getestet.
Sehr bedauerlich, dass NPD-Blog (wie leider schon viel zu oft in der Vergangenheit) auf ein derart oberflächliches Niveau abfällt.