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BERLIN (30.04.2010) - Die maßgebliche außenpolitische Zeitschrift Deutschlands sagt "eine neue Ära des Imperialismus" voraus. Der "Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser" werde die Weltpolitik im 21. Jahrhundert dominieren, erklärt ein einst führender Außenpolitiker der heutigen Regierungspartei CDU in der Zeitschrift "Internationale Politik". "Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts kehren zurück", heißt es in dem Beitrag, der gut zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Regierungssysteme in Osteuropa das Ende einer welthistorischen "Übergangsperiode" ausruft und eine neue Epoche anbrechen sieht. Dabei seien künftige "Energiekriege" nicht auszuschließen. Als Hauptrivalen gelten dem Verfasser, einem profunden Kenner des transatlantischen Establishments, die USA und die Volksrepublik China. Die EU müsse erhebliche Anstrengungen unternehmen, wenn sie in der Weltpolitik nicht an den Rand gedrängt werden wolle, heißt es in dem Text. Der Beitrag erscheint zu einem Zeitpunkt, da Berlin anlässlich der Griechenland-Krise weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in zentrale Hoheitsrechte der EU-Mitgliedstaaten fordert. Die Forderung nach aggressiverer Außenpolitik geht mit Diktaten im Innern zur Sicherung der Europäischen Union einher.

Einflussreich

Der ganzen Welt stehe "eine neue Ära des Energieimperialismus"1 bevor, heißt es in der soeben veröffentlichten aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Internationale Politik". Die Zeitschrift wird von der einflussreichen Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben und gilt als maßgebliche Fachpublikation der Berliner Außenpolitik. Autor des bemerkenswerten Beitrages ist Friedbert Pflüger, ein prominenter CDU-Politiker, der lange zu den führenden Außenpolitikern der heutigen Regierungspartei gehörte. Pflüger amtierte von 2002 bis 2005 als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und war von 2005 bis 2006 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium tätig. Er gilt als profunder Kenner der US-Außenpolitik und als Befürworter einer engen transatlantischen Kooperation.

Kampf um knappe Ressourcen

Pflüger gründet seine Analyse auf eine Untersuchung der weltweiten Energienachfrage. Wie es bei der Internationalen Energieagentur (IEA) heiße, werde der globale Energiekonsum in den nächsten Jahren stark steigen - um 40 Prozent bis zum Jahr 2030, schreibt Pflüger. Erneuerbare Energieträger könnten den Bedarf selbst bei stetigem Wachstum nicht decken. Fossile Energieträger müssten rund 80 Prozent der zunehmenden Nachfrage bewältigen. Der "dominierende Konflikt der Weltpolitik im 21. Jahrhundert" werde daher "der Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser" sein. Dabei kehrten "Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhunderts (...) zurück", urteilt Pflüger und sagt - "nach einer Periode des 'Kampfes der Ideologien'" bis 1990 sowie "einer zwei Jahrzehnte andauernden Übergangsperiode der Suche nach einer neuen Weltordnung" - den Beginn einer neuen imperialistischen Ära voraus. "Basiskonflikt" sei "der mit allen Mitteln ausgetragene Kampf um die knappen Ressourcen unserer Erde". "Unausweichlich" stünden "Energiekrisen und -konflikte", möglicherweise auch "Energiekriege" bevor.

USA gegen China

Hauptkontrahenten der bevorstehenden Konflikte sind laut Pflüger die Vereinigten Staaten und die Volksrepublik China. Der chinesische Bedarf an Energie und Rohstoffen wachse stark; dabei seien Rivalitäten mit den USA, aber auch mit der EU um die knappen Ressourcen bereits jetzt deutlich erkennbar. Dies gelte für Zentralasien, wo Beijing mittlerweile eine starke Stellung halte2, aber auch für den afrikanischen Kontinent. Das "massive chinesische Engagement in Afrika" zähle "zu den wichtigsten geopolitischen Veränderungen der letzten Jahre"; auch die Aktivitäten Chinas am Persischen Golf und in Lateinamerika hätten grundlegende Kräfteverschiebungen bewirkt. Pflüger nennt das "Tempo des Ausbaus chinesischer Machtpositionen" "enorm" und rechnet damit, dass es "bei einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklung früher oder später zu ernsthaften Konflikten kommen kann".

Militärausgaben

Dass das transatlantische Establishment dabei auch über militärische Konfrontationen nachdenkt, zeigt Pflügers Aufmerksamkeit für den Militärhaushalt der Volksrepublik China. Beijing habe die Militärausgaben im letzten Jahrzehnt "auf immerhin 63 Milliarden Dollar verdreifacht", dabei veraltetes Kriegsgerät durch neues ausgetauscht und sich bemüht, seine "Streitkräfte unter Einsatz von Informationstechnologie und elektromagnetischer Kriegsführung zu modernisieren", warnt Pflüger. Zudem beteilige sich China mit seinen Soldaten an UN-Missionen in sechs afrikanischen Staaten. Selbst Pflüger muss jedoch zugeben, dass "der heutige Rüstungsstand" der Volksrepublik jegliche Warnung "vor einer neuen militärischen Supermacht China" übertrieben erscheinen lässt. Außerdem geben die EU-Staaten jedes Jahr mehr als dreimal so viel Geld wie China für ihr Militär aus, die USA wiederum stellen ihren Streitkräften dreimal so viel Geld wie Europa zur Verfügung. Die blutigsten Kriege der Gegenwart, die Kriege in Afghanistan und im Irak, werden ohnehin von den westlichen Staaten geführt, die ihre Truppen auf allen Kontinenten stationiert haben.

Interessen durchsetzen

Pflüger schließt seinen Beitrag mit Handlungsempfehlungen an die EU. Demnach solle "Europa" seinen langfristigen Bedarf an Energie- und anderen Rohstoffen schnellstmöglich klären. Es müsse eine gemeinsame Energieaußenpolitik entwickelt werden, die ein geschlossenes globales Vorgehen von Politik und Unternehmen ermögliche. Die Ressourcenpläne seien mit der NATO abzustimmen. "Es reicht nicht, in Lateinamerika oder Afrika Gender-Projekte (...) oder Seminare zur kommunalen Selbstverwaltung zu finanzieren", warnt Pflüger: "Vielmehr muss die EU lernen, ihre Interessen auf den Schauplätzen der Welt zu definieren und durchzusetzen." Der CDU-Politiker erklärt, man habe Russland in die europäischen Energieplanungen einzubinden - ein Hinweis darauf, dass Moskau an die Seite des Westens gezogen und von einem Bündnis mit Beijing abgehalten werden soll.3

Motor Militärpolitik

Pflügers Beitrag in der "Internationalen Politik" erscheint zu einem Zeitpunkt, da Berlin anlässlich der Griechenland-Krise weitreichende Eingriffsmöglichkeiten in zentrale Hoheitsrechte von EU-Mitgliedstaaten fordert. Der deutsche Außenminister hat zuletzt am Dienstag bekräftigt, er dulde "keine Denkverbote" mehr und stelle unter anderem zur Debatte, die Haushaltssouveränität der nationalen Parlamente in den EU-Staaten bei Bedarf zu suspendieren.4 Gleichzeitig verlangte Guido Westerwelle, die EU müsse zu "innerer Einheit" finden - auch über eine gemeinsame Militärpolitik. Diese solle "ein Motor für das weitere Zusammenwachsen Europas werden". "In Zukunft werden wir vor Herausforderungen stehen, von denen wir heute noch gar nichts ahnen", erklärte der Außenminister. Worum es sich bei den "Herausforderungen" handelt, die Haushalts- und in Zukunft womöglich auch andere Diktate im Innern der EU begleiten, lässt der Artikel von Friedbert Pflüger erkennen: Globale Machtkämpfe um knappe Ressourcen vor allem gegen den großen Rivalen China.


Anmerkungen:
1 Zitate hier und im Folgenden: Friedbert Pflüger: Eine neue Ära des Energieimperialismus, Internationale Politik Mai/Juni 2010
2 s. dazu Das Prinzip Einmischung
3 s. dazu Eine Frage der Orientierung
4 "Deutschland in Europa - eine Standortbestimmung". Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle an der Universität Bonn am 27. April 2010. S. dazu Keine Denkverbote!, Europas Motor und Die Dekade von Lissabon


 
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