Howdy, Hotte! Is' nicht leicht, es is' nicht leicht. Was, Hotte? So als Bundespräsident, als formal höchster Deutscher seiner Zeit. Man muss immer ganz gewichtige Dinge sagen und dabei ernst, nachdenklich, aber auch irgendwie optimistisch dreinschauen, so staatstragend eben. Und alle hören genau zu, liegen auf der Lauer, warten nur auf Nachlässigkeiten. Die sich dann vortrefflich ausbeuten lassen, in den Medien.
Dabei hast Du doch eigentlich alles richtig gemacht. Hast öfter mal so getan, als ob schwere verfassungsrechtliche Bedenken Schuld an Deiner grämlichen Miene seien; bist auch mal -
Chapeau! - den eigenen Parteifreunden auf die Zehen getreten und hast Dir alle Mühe gegeben, einen aus dem Volke, der Du nie warst, zu mimen. Was, in aller Herrgotts Namen, hättest Du sonst noch machen können?!
Undank ist der Welten Lohn: ausgerechnet eine Banalität hat der bundespräsidialen Herrlichkeit den Garaus gemacht. "
Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten.", sagtest Du heute im Schloss Bellevue. Und weiter: "
Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten - mit sofortiger Wirkung." Huch. Was ist denn da geschehen?
Schauen wir uns die "Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres" noch einmal im O-Ton an: "
Aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. [...] Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg". So der Noch-Bundespräsident Köhler am 22. Mai 2010 im Interview mit dem Deutschlandradio Kultur.
Ja, sicher, schnell gab es ein paar Debatten, ob man das denn darf, die Bundeswehr-Kriegseinsätze mit nackten Wirtschaftsinteressen begründen. Das könne gegen das Grundgesetz, welches ja bekanntlich ausschließlich Verteidigungseinsätze (bis zum Hindukusch) zulässt, verstoßen. Aber: Du kommst ja "aus der Wirtschaft" und kennst Dich da besser aus als die Politkommentatoren aus taz, FAZ und WAZ. Einerseits. Und andererseits ist das, was Du da sagtest, so neu nun auch wieder nicht. Werfen wir doch mal einen Blick in die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 1992. Diese Richtlinien sind ein Grundsatzdokument des Bundesverteidigungsministeriums, welche der zuständige Minister als verbindliche konzeptionelle Grundlage für die deutsche Verteidigungspolitik erlässt. 1992 hieß der Mann Volker Rühe (CDU), und dort steht unter anderem folgendes geschrieben: "
Deutschland verfolgt als übergeordnete sicherheitspolitische Zielsetzung, Konflikte in Europa zu verhüten und Sicherheit für Europa im Rahmen einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung zu wahren, die auf pluralistischer Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Marktwirtschaft gründen soll. Dabei lässt sich die deutsche Politik von vitalen Sicherheitsinteressen leiten: [...] (8) Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten Weltwirtschaftsordnung".
Später hingegen, die Regierung hatte gewechselt, saß ein gewisser Peter Struck (SPD) im Berliner Bendlerblock. In seinen Verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 finden wir unter Punkt römisch Zwei, "Kernaussagen": "
27. Die deutsche Wirtschaft ist aufgrund ihres hohen Außenhandelsvolumens und der damit verbundenen besonderen Abhängigkeit von empfindlichen Transportwegen und -mitteln zusätzlich verwundbar. [...] 36. Deutsche Sicherheitspolitik ist umfassend angelegt und berücksichtigt politische, ökonomische, ökologische, gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen und Entwicklungen."
Das ist zwar kauderwelschiger als unter Rühe - aus Rücksichtnahme gegenüber den grünen Koalitionären, die zur Abwechslung gerne auch öfter ökologische und kulturelle Kriegseinsätze führen wollten? -, aber eigentlich doch genau das Gleiche. Deutschland ist a) wirtschaftlich stark, aber zu klein und darob b) enorm exportabhängig und deshalb c) zu militärischem Schutz und Durchgreifen verpflichtet, wenn unser Status als Exportweltmeister zu wanken droht. Und nun, 2010, soll falsch sein, was 1992 und 2003 ohne den geringsten Aufschrei des Entsetzens Grundlage der deutschen Militärpolitik war?!
Das ist doch nicht fair. Du hast gar nichts Neues erzählt, gar noch praktische Tipps gegeben, wie die Journaille der zweifelnden Bevölkerungsmehrheit die neue deutsche Militanz schmackhaft machen kann: Handel, Arbeitsplätze und Einkommen bedingen die schimmernde Wehr. Das muss doch jeder kapieren, dass sein Job irgendwie und mittelbar auch daran hängt, wie wir international so expandieren und marschieren...
Jetzt wollen wir hier mal keine Debatte lostreten, warum die Mehrheit der Deutschen laut aller Umfragen eher Zweifel bis Missfallen gegenüber den deutschen Auslands-Kriegseinsätzen empfindet: da spielen gegenüber pazifistischen oder antimilitaristischen Motiven auch (oder eher?) Ressentiments a la "jetzt müssen WIR wieder Opfer lassen für DIE da unten, die es nicht gebacken kriegen", eine erhebliche Rolle. Whatever: es stört. Während sich
von und zu Guttenberg bemüht, einen Dammbruch im Sinne offener Kriegseuphorie hinzukriegen, gleichzeitig erstmals seit 1945 wieder Zinksärge en masse eingeflogen werden und die Bundeswehr in öffentlichen Kampagnen ihr Image aufpolieren muss, wolltest Du nur hülfreich zur Hand gehen, und kriegst dafür 'ne Watschn.
"
Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen", so Deine Abtrittsrede. Harte Worte eines wunderlichen Mannes. Aber mal ganz ehrlich: ich zumindest verstehe noch nicht so richtig, warum das alles geschieht, und das gerade jetzt. Gab es Zwist um das richtige Timing bei der Erzeugung einer nötigen nationalen Hybris, der Wehrhaftmachung der Heimatfront? Ging das Deinen Kumpels und Kollegen zu schnell, was Du gesagt hast? Haben vielleicht die "Verbündeten", mit denen man ja gemeinsam noch einen auf "Verteidigung der westlichen Werte" machen muss, schwerwiegende Bedenken angemeldet? Oder ist die Wirtschaftskriegs-Nummer nur das I-Tüpfelchen gewesen, um Dich loszuwerden, nachdem Du öfters mal versucht hast, das ganz real wenig einflussreiche Bundespräsidentenamt im Sinne einer Präsidialherrschaft, mit Volkswahl und mehr Möglichkeiten für "dein Amt", aufzuwerten?
Es darf gemutmaßt werden. Aber jetzt übernimmt erst mal der Präsident des Bundesrates, Jens
"who the fuck" Böhrnsen, Deine Geschäfte. Im Juni wird dann eine Bundesversammlung zusammentreten, die den Neuen zu wählen hat. Diese Bundesversammlung besteht aus den Mitgliedern des Bundestags und einer gleichen Anzahl erkorener Mitglieder, die durch die Landtage, Bürgerschaften und Abgeordnetenhäuser der Länder bestimmt werden. Gerne werden auch verdiente Sportler, verkrachte Literaten und phantasiebegnadete Künstler in diese repräsentative Versammlung, die das Volk widerzuspiegeln hat, rekrutiert. Wäre das nicht auch eine gute Zweitverwertung für "
die Lena", die gerade für Deutschland nachträglich Europa erobert hat? Oder, Moment: Soll nicht "die Lena" gleich Deine Nachfolgerin, als Bundespräsidentin, werden?! Die kleine Verfassungsänderung über das Mindestalter (derzeit 40 Jahre) ist schnell hingekriegt; und wenn nicht, ist das auch egal. Es gibt ja schließlich keinen Fußball, der hierzulande so mit Füßen getreten wurde wie das Grundgesetz, das ja auch nur den "Verteidigungsfall" für einen Bundeswehreinsatz kennt...
Nichts genaues weiß man nicht; und es bleibt eine große Ratlosigkeit. Zum Beispiel bei "Spiegel Online": "
Einen Rücktritt vom höchsten Staatsamt hat es in Deutschland bisher noch nie gegeben", schreiben das "deutsche Nachrichtenmagazin". Falsch, setzen, sechs. Schon einmal trat ein Bundespräsident, der gerne vergessen werden soll, drei Monate vor Ablauf der regulären Amtszeit zurück: Heinrich Lübke. Anlass dieses Rücktritts war die Enthüllung durch die DDR und deren Nachrichtendienste, dass Lübke unter dem deutschen Faschismus als Architekt KZ-Baracken entworfen hatte. Er bleibt im kollektiven Gedächtnis durch dichterische Glanzleistungen (bei der Eröffnung des Springer-Hochhauses in Berlin/West: "
Hier springt eine ganz klare Quelle") und kreative Begrüßungen bei afrikanischen Staatsbesuchen ("
Meine Damen und Herren, liebe Neger!")...
Was, Hotte, bleibt von Dir?
Herzlichst,
secarts.