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Mein erster Aufenthalt in Guangzhou neigt sich dem Ende entgegen – morgen geht es weiter auf’s Land, und zwar zunaechst nach Guangxi, der Nachbarprovinz Guangdongs, dessen Hauptstadt ich derzeit bereise. Die Zugfahrten sind so lang, wie das Land gross ist: ich werde knapp 12 Stunden Zug fahren und anschliessend noch mehrere Stunden mit dem Schiff, um eine nach chinesischen Verhaeltnissen halbwegs kurze Distanz zu bewaeltigen...
Das vom Tourismus unberuehrte Land, also traditionelle chinesische Bauerndoerfer, wird ein starker Kontrast zur Mega-City Guangzhou mit seinen 15 Millionen Bewohnern sein, der mich ausserordentlich interessiert.
Hier nun noch einmal einige kleinere Eindruecke und Anekdoten meines Guangzhou-Aufenthalts.
Wer nach China reist, sollte sich schleunigst daran gewoehnen, sehr direkt und lange angeschaut zu werden. Ein „langnasiger Barbar“ ist eben immer noch eine Besonderheit und ausserordentlich exotisch.
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der Autor beim "Photoshooting" auf dem Sun Yat-Sen Memorial. |
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In Guangzhou leben verhaeltnismaessig viele Auslaender – Schwarzafrikaner und Araber ueberwiegend, die hier Handel treiben oder arbeiten – Europaer und insbesondere Deutsche sind doch sehr selten. Bisher lief mir erst eine deutsche Familie ueber den Weg; und so ist das Aussehen und die sonderbare Sprache der Fremden eine ganz besondere Attraktion, die sich niemand entgehen laesst. Intensives Anstarren und Gekicher jugendlicher Leute sollte einen nicht weiter schocken, es ist nicht boese gemeint, sondern Ausdruck der Unbefangenheit der Menschen hier. Ein Vorurteil musste ich naemlich zuallererst ablegen: Chinesen sind keine Spur schuechtern, eher im Gegenteil. Die Menschen hier sind freundlich, interessiert, unkompliziert und sehr direkt:
Auf dem Sun Yat-Sen-Gedenkturm im groessten Parkgelaende Guangzhous, einem beliebten Ausflugsort inmitten der Grossstadt, sprachen mich zwei Jugendliche an, die sich gerne mit mir photographieren lassen wollten. Ohne besonders eitel zu sein, konnte ich ihr Ansinnen natuerlich voellig nachvollziehen und gab ihrem Wunsche selbstverstaendlich statt... ;-)
China ist bekanntermassen die bevoelkerungsreichste Nation der Erde. 1,3 Milliarden Menschen wohnen und arbeiten hier; an Arbeitswilligen besteht also keinerlei Mangel. Nun ist zumindest letzteres auch in Deutschland nicht anders; entgegen dem deutschen Trend, trotzdem immer mehr Stellen abzubauen, scheint in China das Gegenteil der Fall: Keine noch so winzige Drogerie, in der nicht mindestens zehn Angestellte herumwuseln und auf auskunftswillige Kunden warten; keine Registrierkasse, die nicht mindestens im Doppelpack besetzt ist: eine Kassiererin nimmt die Waren entgegen, die Zweite bucht sie ab, die Dritte steckt sie in eine Tuete und so fort.
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Rast in Guangzhou |
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Darueber hinaus wimmelt es in den Strassen von uniformierten, allerdings unbewaffneten Hilfskraeften, die sich um Sauberkeit, Parkplatzzuweisungen oder Sicherheit kuemmern – das Resultat sind ganz aussergewoehnlich saubere Wege und Strassen, auf denen auch nicht eine einzige Zigarettenkippe zu finden ist. Sobald man nachlaessig ein Taschentuch fallen laesst, steht schon eine besenbewahrte Reinigungskraft hinter einem – als deutscher Subversiver, der ganz gerne einmal mit illegal weggeworfenen Blechbuechsen aktive Zersetzung betreibt, fuehlt man sich doch merkwurdig!
Es ist natuerlich auch nicht alles immer ordentlich, huebsch oder gepflegt hier – im Vergleich zu so mancher europaeischen Grossstadt sind die Strassen jedoch geradezu steril. Dies mag eine Besonderheit in Guangzhou sein, noch kann ich das nicht beurteilen. Sehr auffaellig ist es trotzdem.
Stark im Kontrast zu der allgemeinen Ordnungsliebe und Diszipliniertheit der Bevoelkerung steht das voellig chaotische Verkehrsverhalten der Menschen – eine Grundausbildung in Ueberlebenstraining, erster Hilfe und Hindernislaufen waere hier ziemlich hilfreich beim taeglichen Parkours durch die Strassen und Gassen der Innenstadt.
Es gibt zwar Ampelanlagen und so etwas aehnliches wie Zebrastreifen, nur haellt sich leider niemand daran. Die Autoschlangen stauen sich durch die halbe Stadt, die Fussgaenger draengeln unverfroren dazwischen, und jeder nutzt jede Luecke, um sich durchzumogeln. Obwohl vor einigen Jahren die Benutzung der Autohupe in der Innenstadt verboten wurde, um die Laermbelaestigung zu verringern, wird auch dieser sehr an sich vernuenftige Erlass mit Missachtung gestraft – das Resultat ist ein wuestes Gemisch aus Geschrei, Geklingel und Gehupe, dazwischen bisweilen noch Polizeisirenen oder fahradfahrende Transporteure. Die sog. „Kulis“, also Rikschafahrer, die private Kunden auf dem Fahrrad oder motorisierten Dreirad transportieren, sind im uebrigen seit der Revolution abgeschafft – Fahrraeder, die durch die blosse Masse ihrer Beladung an Wasserflaschen, Melonen oder Kartons mehrere physikalische Gesetze widerlegen, gehoeren allerdings zum Allgemeinbild.
Die Chinesen sind sehr gesellig und lieben Tratsch und gemeinsames Spiel. Schon in den Mittagsstunden finden sich vor allem in den traditionellen Wohngebieten Grueppchen von Karten-, Ma-Jong- und Schachspielern zusammen, die an niedrigen Tischen unter schattenspendenden Baeumen die neuesten Geschichten aus der Nachbarschaft austauschen und die mittaegliche Hitze bewaeltigen. Sobald es Abends daemmert, finden sich die einzelnen Nachbarschaftsgruppen wiederholt zum Abendessen oder Umtrunk zusammen.
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Fußgängerzone in Guangzhou |
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In China unbekannt sind Phaenomene wie deutsche Kneipen, die man aufsucht, um dort lediglich zu trinken. Fuer Touristen und die zahlungskraeftigen Angestellten aus dem Ausland gibt es zwar Bars und Gaststaetten im europaeischen Stil, die auch von chinesischen Jugendlichen besucht werden - beliebt bei jungen Leuten ist aber eher das japanische Importprodukt Karaoke sowie jede Form von Imbissen, in denen man isst und auch trinkt. Richtig betrunkene Jugendliche oder Erwachsene habe ich bisher noch nicht gesehen; das Klima scheint seinen Teil zur Disziplinierung beizutragen. Ein Umstand, den man auch aus suedlicheren europaeischen Laendern kennt – Alkohol getrunken wird gerne und auch manchmal etwas mehr, besonders zum und waehrend des Essens; jeder kennt aber seine Grenze. Das ist in Deutschland nun doch ganz anders...
Soweit erstmal; ich verabschiede mich vorerst von Guangzhou, der groessten Stadt, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe; nach Beendigung meiner Rundreise durch China, gegen Ende September werde ich hier noch einmal fuer ein paar Tage Station machen. Doch jetzt freue ich mich nach all den aufregenden, lauten und manchmal auch ziemlich hektischen Tagen in dieser Stadt, die am Horizont nicht aufzuhoeren scheint, auf ein etwas ruhigeres Tempo auf dem Land!