UZ: "Die Griechen" haben über ihre Verhältnisse gelebt, so steht es jeden Tag in den Zeitungen und hören und sehen wir es in den Nachrichten. Wie sind die Fakten? Wie hoch sind die Durchschnittslöhne in Griechenland? Wie hoch sind die Renten und wie hoch sind die Lebenshaltungskosten?
Dimos Koumbouris: Es ist natürlich nicht wahr, es ist eine der Lügen; die die Herrschenden verbreiten. Die Werktätigen in Griechenland arbeiten genauso hart wie die in Deutschland und auf der ganzen Welt und haben nie die Früchte ihrer Arbeit ernten können oder sind gar durch ihre schwere Arbeit reich geworden. Im Gegenteil, der Kapitalismus lebt als Parasit und streicht die Profite ein. Die Lage der arbeitenden Bevölkerung Griechenlands ist gleichzusetzen mit der Situation der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland, das heißt, es geht immer weiter bergab. Als die Wachstumsraten in Griechenland sehr viel höher waren als in den anderen europäischen Ländern, sind in Griechenland die stärksten Maßnahmen gegen die arbeitenden Menschen ergriffen worden. Heute liegt der durchschnittliche Nettolohn in Griechenland bei 550 Euro. 75 Prozent der Rentner bekommen eine Rente unter 645 Euro. Untersuchungen in Krankenhäusern und Medikamente müssen bezahlt werden und die Preise steigen. Das Gesundheitswesen ist privatisiert worden und man ist dabei, einen großen Teil der Kosten des Bildungswesens zu erhöhen. Das Renteneintrittsalter ist erhöht worden. Die Arbeitslosenrate und die Zahl der Armen nehmen schwindelerregende Höhen an. Die Situation ist nicht nur in Griechenland so, sondern in allen europäischen Ländern, denn das sind die Resultate des Vertrags von Lissabon. Die Lügen, die die herrschende Klasse in Deutschland verbreitet, sind die gleichen, die die herrschende Klasse in Griechenland verbreitet. Das Ziel ist, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen, damit sie sich letztendlich gegeneinander zersplittern.
UZ: Wenn man in Griechenland an Straßenbaustellen vorbei kommt oder an historischen Städten, wo neu aufgebaut wird, dann sieht man diese großen blauen Schilder, auf denen steht, wie viel die Europäische Union in diese Bauten gepumpt hat. Wer verdient denn an diesen Hilfen?
Dimos Koumbouris: Die EU hat große Summen bereitgestellt - nicht nur in Griechenland, sondern auch in den anderen Ländern der EU - nicht, um die Bedürfnisse der Bevölkerung decken, sondern, um die Bedürfnisse des Kapitals zu befriedigen. An der Initiierung dieser Entwicklungsprogramme war die griechische Gesellschaft nicht beteiligt. Viel Geld ist zum Beispiel bewilligt worden, um die griechische Landwirtschaft zu minimieren, so dass die Bauern ihre Produkte quasi unterpflügen können. Beim Eintritt Griechenlands in die EU war der Landwirtschaftssektor eine Wachstumsbranche und man konnte von der Landwirtschaft gut leben. Heute müssen für sieben Milliarden Euro im Jahr landwirtschaftliche Produkte eingeführt werden. Die Bohnen, die Tomaten kommen dann aus einem niederländischen Gewächshaus. Daraus resultiert fast die Hälfte der Schulden. Der andere Teil ist, dass sehr viel Geld aufgewendet wird für Importe, in erster Linie Industriegüter und Waffen. Es kommen also die Fördergelder aus den EU-Ländern, fließen aber wieder zurück in die Bestellungen von Waffen und Industriegütern. Es gibt mit Sicherheit auch einen gewissen Anteil von Korruption, das heißt, dass Bestechung usw. damit durchgeführt wird.
UZ: Von 300 Milliarden Euro ist die Rede, mit denen Griechenland in der Kreide steht. Und in den Zeitungen steht, wir - Deutschland - muss das jetzt bezahlen. Ist denn diese so genannte Hilfe der EU-Länder, die jetzt erfolgen soll, eher eine Hilfe für die Profite französischer und deutscher Banken? Denn die griechische Regierung ist doch der Bote, der nur durchreicht, was an Geld kommt.
Dimos Koumbouris: Das ist ungefähr so wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Ein Teil dieses Kapitals, das der Europäischen Zentralbank zur Verfügung gestellt wird, gehört griechischen Großindustriellen, Reedereien usw. Das europäische Großkapital stellt dem griechischen Großkapital Geld zur Verfügung, das sich der griechische Staat dann leihen kann. Das bleibt in der Familie. Da steht Griechenland nicht alleine da, sondern das passiert in allen europäischen Ländern. Es ist so, dass sich der griechische Staat, die Regierung, Geld leiht, Kredite aufnimmt, um dieses Geld weiterzugeben an die griechischen Banken, an die griechischen Unternehmer, und gleichzeitig die Rechte der Arbeiter noch weiter beschneidet.
UZ: Stärken sich denn im Kampf gegen die Abwälzung der Schuldenlast auf die Arbeiterklasse die klassenbewussten Kräfte, das heißt, werden neue Schichten und auch einzelne in den Kampf hineingezogen? Und sind die vielen Migranten in Griechenland, also eingewanderte Arbeiter in prekären Arbeitsverhältnissen, mit ganz geringem Lohn, einbezogen in die Kämpfe?
Dimos Koumbouris: Es kommen ständig Menschen hinzu. Auch die Immigranten in Griechenland nehmen zahlreich an den Demonstrationen und Kämpfen teil. Man sieht die Einigkeit. Griechen und bulgarische Arbeitsimmigranten, albanische Immigranten, Immigranten aus Afrika, Asylbewerber aus dem Irak, sie sind gemeinsam auf der Straße.
UZ: Wagst du einen Ausblick auf die kommenden Monate? Wird der Finanzkrise eine Regierungskrise folgen, eine Krise der Macht vielleicht sogar?
Dimos Koumbouris: Es hat in der gesamten Nachkriegszeit noch nie die Situation gegeben, dass der Gegner, die herrschende Klasse, die herrschende Politik so zusammen hält. Für uns steht nicht im Vordergrund, wie die Wahlergebnisse aussehen werden. Für uns steht im Vordergrund, dass die Bewegung, die Partei sich weiter verstärkt und jeden Tag den Kampf anbietet und dass wir aus der Situation heraus, aus der Richtung heraus auch die entsprechenden Lösungen finden. Kein ernsthafter Mensch ist der Meinung, dass die Pasok oder die Nea Dimokratia ernsthafte politische Differenzen haben. Durch unsere tägliche Präsenz können wir auch Leute für die Sache begeistern, die uns eigentlich politisch gar nicht nahe stehen. Wir haben Rückhalt mittlerweile bei Teilen von Pasok-Anhängern, wir haben Rückhalt auch bei konservativ denkenden Arbeitern, weil diese Leute im täglichen Dialog erkannt haben, dass unsere Vorgehensweise, unsere Thesen eine Lösung versprechen für die Probleme der Arbeiter. Um diese Bewegung zu stärken, braucht man eine starke kommunistische Partei.
Es geht um den Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der Arbeiterklasse mit den Freiberuflern, Kleingewerbetreibenden und Bauern, um es zu schaffen, dass die antisozialen Gesetzesvorhaben im Parlament nicht durchgewunken werden.
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