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Fünf Jahre nach der "Tulpenrevolution" ist in der vergangenen Woche nun auch das damals an die Macht gelangte Regime von Kurmanbek Bakijew durch einen Volksaufstand gestürzt worden. Bei den blutigen Unruhen fanden nach offiziellen Angaben 76 Menschen den Tod, über 1 000 wurden verletzt. Die Gründe für den gewaltsamen Ausbruch des Volkszorns sind nicht schwer auszumachen. Sie liegen in der erbärmlichen sozialen Lage der Volksmassen und der autoritären Herrschaftsausübung des Bakijew-Regimes.

Kirgistan gehört zu den ärmsten Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Nach dem tiefen wirtschaftlichen Absturz im Zuge der Konterrevolution und des Zusammenbruchs der Sowjetunion hat sich das Land kaum erholen können. Viele Kirgisen müssen sich als Wanderarbeiter und Handlanger auf russischen Baustellen verdingen. Ihre Überweisungen sind für viele Familien die wichtigste Einkommensquelle. Mit der infolge der Wirtschaftskrise drastisch zurückgegangenen Bautätigkeit in Russland ist diese Quelle weitgehend versiegt. In dieser Situation hat die Ankündigung der Bakijew-Regierung, die Preise für Gas und Strom um 100 Prozent zu erhöhen, das Fass der Empörung zum Überlaufen gebracht. Die Empörung über die autoritäre Herrschaft des Bakijew ist nicht neu. Sie hat sich seit Jahren zu einem explosiven Gemisch zusammengebraut. Bakijew, der in der "Tulpenrevolution" seinen Vorgänger im Präsidentenamt, Askar Akajew, der Willkürherrschaft, der Verfolgung der Opposition, der Unterdrückung der Meinungsfreiheit, der Korruption und Vetternwirtschaft anklagte, hat diesen dabei bald übertroffen. Politische Opponenten wurden vom Geheimdienst verfolgt und in die Gefängnisse geworfen, darunter viele ehemalige Mitstreiter der "Tulpenrevolution". Während die Volksmassen in bitterer Armut vegetieren, haben der Familienclan Bakijews und seine Hofschranzen Filetstücke des Volkseigentums an sich gerissen und schwelgen im Reichtum. So gehören z. B. Maxim Bakijew, dem jüngsten Sohn des Präsidenten, mehrere Banken, Tankstellen und ein Mobilfunkunternehmen.

Schaltstellen der Macht hat Bakijew mit Familienmitgliedern besetzt. Der erwähnte Sohn Maxim war bis zum Umsturz Chef der Behörde für Entwicklung, Investition und Innovation, der neben dem Präsidentenamt mächtigsten Institution des Landes. Er galt als Kronprinz und sollte bei den Präsidentenwahlen 2014 Nachfolger seines Vaters werden. Maxims Bruder Marat saß in der staatlichen Agentur für nationale Sicherheit, der er demnächst vorstehen sollte. Onkel Zhanisch war Chef der Staatssicherheit, Onkel Marat ist Botschafter in Deutschland und ein weiterer Onkel Wirtschaftsrat in China.

Präsident Bakijew hatte offenbar vor, die Zügel seines Regimes noch straffer anzuziehen. Auf einer am 24. März aus Anlass des 5. Jahrestages der "Tulpenrevolution" veranstalteten Versammlung erklärte er, dass die Normen der westlichen liberalen Demokratie für Kirgisien nicht geeignet seien. Den Traditionen des kirgisischen Volkes entspreche mehr eine "beratende Demokratie". Das Beispiel dafür seien Versammlungen wie diese, bereichert durch die Meinungen der "Weisen des Volkes". Wahlen seien nichts anderes als ein "Marathon von Geldsäcken und Wählerkauf". Die Betonung der Menschenrechte bringe Individualismus und Egoismus hervor, was zum Verfall der öffentlichen Moral und Sittlichkeit sowie zur Zerstörung der Natur führe. Die Attacke gegen Wahlen und gewählte Vertretungen macht augenscheinlich, dass diese selbst in der unter seiner Herrschaft auf die Rolle eines Feigenblattes reduzierten Formen Bakijew ein Dorn im Auge sind und er sie beseitigen möchte. Und seine Aussagen zu den Menschenrechten dienen nur dem Zweck, deren brutale Missachtung durch ihn und seinen Clan zu rechtfertigen.

Die Machthaber im Westen, aber auch die Herrschenden in Russland haben zu diesen Attacken geschwiegen, wie sie zur autoritären Herrschaft Bakijews überhaupt weitgehend schweigen. Der Grund dafür ist in der strategischen Lage Kirgistans und der Rivalität zwischen Moskau und Washington um den maßgeblichen Einfluss auf dieses Land und diese Region zu suchen. Beide Länder unterhalten Militärstützpunkte in Kirgistan und wollen es mit den dort Regierenden nicht verderben. In jüngster Zeit war es zu Spannungen zwischen Moskau und Bischkek gekommen. Bakijew hatte sich bei einem Moskau-Besuch im letzten Jahr Entwicklungshilfe und Schuldenerlass in Höhe von 330 Mio. Dollar und 300 Mio. Dollar vergünstigte Kredite zusagen lassen und wollte im Gegenzug dafür die US-Militärbasis in Kirgistan schließen. Allerdings wurde diese nicht nur nicht geschlossen, sondern nach Erhöhung der Mietzahlungen aus Washington nur in Transitzentrale umbenannt und die Nutzungsdauer sogar über den bisher vereinbarten Zeitpunkt hinaus verlängert. Über die Basis werden monatlich bis zu 35 000 US-Soldaten und ein bedeutender Teil des Nachschubs für den Afghanistankrieg transportiert. Die Lage der Basis im Zentrum Mittelasiens ist über Afghanistan hinaus von strategischer Bedeutung für die Pläne Washingtons zur Beherrschung dieser ganzen Region. Außerdem wurde bekannt, dass die USA Kirgisien dabei "helfen" wollen, im Süden des Landes ein Antiterror-Trainingszentrum zu errichten und auszurüsten, wozu sicher auch die Ausbildung durch US-Instrukteure gehören dürfte.

Angesichts dessen kann es nicht verwundern, wenn sowohl der russische Präsident Medwedjew als auch Ministerpräsident Putin zwar betonen, dass die jetzigen Ereignisse in Kirgistan eine innere Angelegenheit dieses Landes seien, sich ansonsten aber wohlwollend gegenüber dem Umsturz zeigen. Die Pressesprecherin Medwedjews wies vor Journalisten darauf hin, dass nach Meinung des Präsidenten die gewählte Protestform von der äußersten Empörung des Volkes über die Macht im Lande zeuge. Ministerpräsident Putin sicherte der neuen Führung humanitäre Hilfe zu.

Die Übergangsregierung scheint sich nun wieder stärker auf Russland zu orientieren. So wurde unmittelbar nach dem Umsturz bereits eine Regierungsdelegation zu Gesprächen in Moskau entsandt. Rosa Otunbajewa, die Chefin der Übergangsregierung hat zudem einen guten Namen in Moskau. Dies auch darum, weil sie Repressionen gegen russischsprachige Internetseiten sowie russische Geschäftsinteressen, die in den letzten Monaten zu beklagen waren, entgegengetreten ist und Russland als "unseren strategischen Partner und Verbündeten" bezeichnete. Wenn die Internetzeitung "Russland-Aktuell" feststellt: "Es gibt einige Indizien, dass Russland über den Sturz Bakijews gar nicht unglücklich ist - und sich nun insgeheim über einen ähnlichen strategischen Gewinn freut wie nach dem jüngst erfolgten Präsidentenwechsel in der Ukraine, wo nun wieder ein moskau-freundlicher Wind weht", so spricht vieles dafür. Die USA und ihre NATO-Verbündeten haben allerdings keinen Grund zur Freude und halten sich bedeckt.

 
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