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Bei "Chefökonom" der Financial Times Deutschland (FTD), Thomas Fricke, ist man sich nie so recht sicher, ob er in seinen Kolumnen nicht einer heimlichen Leidenschaft zur Glosse frönt. Aber vermutlich meint er es ernst, wenn er herausgefunden hat, die "momentane Krisenlaune" stehe in kuriosem Widerspruch dazu, "dass sich die Wirtschaft bereits eindrucksvoll erholt hat". Jetzt sei "die Rezession schon seit Monaten beendet", die Vorhersagen lägen eher bei plus zwei Prozent. "Und selbst das könnte noch zu vorsichtig sein." Nun, dann ist ja alles in Butter. Zumindest für den Herrn Chefökonom.

Die neoliberale Kampfpresse liebt die Launen: Kauflaunen, Wahllaunen, schlechte Laune auf den Afghanistankrieg und eben auch eine "momentane Krisenlaune". Launen benötigen keine realen Ursachen und Kolumnisten keine realen Argumente. "Frühindikatoren" tun es da auch.

Ganz so einfach ist es in der realen Welt nun leider nicht. Noch kann ein Kurzarbeiter seine neue Hose nicht mit dem Ifo-Geschäftsklimaindex bezahlen. Mehr als eine Million Menschen sind derzeit auf Kurzarbeit gesetzt. Ihr Schicksal wird, je länger die Krise dauert, zunehmend unsicher. Bislang findet die "eindrucksvolle Erholung" der Wirtschaft allenfalls in der Redaktion der FTD und in den Kassen des Spekulationsgewerbes statt. Und die Stabilität des Arbeitsmarktes höchstens in der Kreativabteilung der BA-Statistiker. Die finden unter den 5,9 Mio. ALG-I- und II-Beziehern gerade einmal 3,4 Mio. Arbeitslose. Irgendwann wird die Entwicklung der Ausnahmetatbestände soweit gediehen sein, dass das vom damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz vorgegebene Ziel der Vollbeschäftigung erreicht ist. Das wird dann vielleicht einige "Chefökonomen" beeindrucken, mehr Kaufkraft in die Tasche lügen kann man sich so allerdings nicht. Selbst der chronisch optimistische Einzelhandel musste ein Umsatzminus von 2,7 Prozent melden (Die "momentane Krisenlaune", vermutlich).

Laut Eurostat ist die saisonbereinigte Arbeitslosigkeit in der Eurozone (EU-16) im November auf 10,0 Prozent gestiegen (15,7 Mio. Menschen). In der EU-27 sind es 9,5 Prozent, (22,9 Mio. Menschen), die als arbeitslos gelten. Alle EU-Staaten melden einen Anstieg der Arbeitslosenquoten. In der EU-27 plus 4,9 Mio. zum Vorjahresmonat. In der Eurozone plus 3,4 Mio. im selben Zeitraum. Bei den Unter-25-Jährigen lag die Arbeitslosenquote bei 21,0 Prozent (EU-16) bzw. 21,4 Prozent (EU-27). Der Wert des Vorjahresmonats: 16,6 Prozent (für beide Gebiete). Spitzenreiter ist hier Spanien mit 43,8 Prozent. Fast die Hälfte der spanischen Jugend ist offiziell arbeitslos. Neben den damit verbundenen menschlichen Tragödien liegen hier die Hoffnungen der neuen deutschen Exportoffensive am Boden. Die EU ist der mit Abstand größte Zielraum deutscher Exporte.

Vor allem der währungspolitisch wehrlos gemachte Euroraum hat sich für den deutschen Exportüberschuss verschulden müssen. Ähnlich wie die USA für den chinesisch/asiatischen. Spitzenreiter bei den Handelsbilanzdefiziten in den ersten drei Quartalen 2009 war Großbritannien mit 69,9 Mrd. Euro, gefolgt von Frankreich 38,6 Mrd., Spanien 36,8 Mrd., Griechenland 21,3 Mrd. und Portugal 13,5 Mrd. Euro. Dem gegenüber stand der Exportüberschuss der deutschen Industrie im gleichen Zeitraum von 91,7 Mrd. Euro. Diese Finanzierung der deutschen Exportindustrie hat auf der anderen Seite zum Aufbau entsprechender Staatsdefizite geführt, wofür sie nun (dankbar, wie der deutsche Imperialismus nun einmal ist) von den bundesdeutschen Musterschülern ordentlich gerüffelt werden. Hilfen wie eine Euroanleihe, die bei der Finanzierung der Defizite helfen könnte, werden von Finanzminister Schäuble, mit einer auffälligen Fokussierung auf Griechenland, markig abgebügelt. Es scheint in Berlin ein merkwürdiges Bedürfnis zu herrschen, die eigene Kundschaft zu ruinieren. Diese Radfahrermentalität (nach oben buckeln nach unten treten) bestätigt sich im Umgang mit dem Spekulationsgewerbe. Nach dessen grandioser Rettung vor dem unmittelbaren Kollaps ist nun unter dem Angstbegriff Kreditklemme ein schöner Mechanismus in Gang gesetzt. Die Milliarden, die zur Bankenrettung benötigt wurden, erhöhen natürlich das Staatsdefizit. Der Staat muss sich also frisches Geld leihen. Wo? Darüber redet niemand gern. Aber die erste Adresse sind hier natürlich wieder unsere Banken. Und woher nehmen es die eben noch bankrotten Banken? Von der Zentralbank. Der Zinssatz der Zentralbank liegt inflationsbereinigt unter Null. Von hier aus ist es selbst Bankern möglich, einträgliche Geschäfte zu machen. (Mit Überziehungskrediten zu 16 Prozent etwa) Unter dem Strich zahlen nun die "Retter" den "Geretteten" auf das den "Geretteten" kostenlos zur Verfügung gestellte und teuer zurück gepumpte Rettungskapital noch anständig Zinsen. Diese Lizenz zum Gelddrucken ist irgendwie noch gelungener als die Abwrackprämie. Da verwundert das Dauergrinsen des Herrn Ackermann nun nicht besonders.

Für die North American International Auto Show (Detroit Motor Show) müssen gute Nachrichten her. Als der US-Verbraucher noch über viel (geliehenes) Geld verfügte, war der US-Automarkt der größte der Welt. (Wenn er es noch ist, wird er es nicht mehr lange sein). Aber mit dem Zusammenbruch der Kreditmaschine brach auch ein Drittel des Marktes weg. Geld für neue Autos muss nun aus realen Jobs kommen. Und der US-Arbeitsmarkt kennt seit zwei Jahren nur eine Richtung: abwärts. Beim Automarkt wäre es ebenso, gäbe es nicht die Abwrackprämie (Cash for Clunkers). Doch die ist nun ausgelaufen. Wie gut, dass das Bureau of Labor Statistics (BLS) für November 2009 ein Plus von 4 000 Stellen entdeckte. Die Trendwende auf dem US-Arbeitsmarkt war geboren. Nicht nur unser FTD-Chefökonom jubelte. Leider hielt die Wirklichkeit dem Jubel nicht allzu lange stand. Für Dezember musste das BLS erneut den Verlust von 85 000 Jobs melden. Aufsummiert seit Krisenbeginn sind das nun 7,242 Millionen. Vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen (länger als 27 Wochen) ist seit Krisenbeginn um etwa das sechsfache auf 6,13 Mio. gestiegen. In der weiten offiziellen Abgrenzung (U-6) sind nun 27,5 Mio. Menschen in den USA arbeitslos. Zwar konnte GM mit mehr als 50 Mrd. Dollar vom US-Finanzministerium gerettet werden. Aber Autos kaufen bekanntlich keine Autos. Und Konjunkturprogramme jetzt auch nicht mehr.

Natürlich gibt es auch in jeder Krise Gewinner. Vermutlich wird es in dieser die VR China sein. Wenn die Statistiken stimmen, hat die Volksrepublik im Dezember bei den Exporten ein sattes Plus von 17,7 Prozent zu Vorjahresmonat eingefahren. In der Krise, wenn das Geld knapp ist, haben Discounter Konjunktur. Nicht nur Aldi und Lidl. Damit scheint China die Wende geschafft zu haben. Vom Tief in 2/09 mit 65 Mrd. Dollar hat sich der Export auf 130,72 Mrd. in 12/09 glatt verdoppelt und liegt nahe beim Allzeithoch von 136,6 Mrd. in 7/08. Während "der Westen" Billionen in die Rettung seiner nutzlosen Zockerindustrie investierte, hat die Volksrepublik ein 4 Billionen Yuan (585 Mrd. Dollar) schweres Konjunkturpaket geschnürt. Die chinesischen Banken mobilisierten dazu mehr als 9,2 Bio. Yuan (1,35 Bio. Dollar) Kredite. Damit wurden und werden im großen Stil Rohstoffe und Energie eingekauft und industrielle Kapazitäten errichtet. In den USA sind, außerhalb der Landwirtschaft, in der güterproduzierenden Industrie (in der weiten Abgrenzung inklusive Bau, Jagd, Öl, Bergbau, Fischerei, produzierendem Gewerbe, etc.) gerade noch 18,24 Mio. Menschen tätig. Im Dienstleistungssektor 112,6 Mio. im Staatssektor 22,5 Mio.. So lange es dem Casino gelingt, den Mehrwert der Welt abzusaugen, mag das eine Weile gehen. Aber es ist eine endliche Veranstaltung. Wie auch die aktuelle künstliche "Konjunktur".

Das Konzept des deutschen Imperialismus sich durch Lohndumping als Billigeimer unter den Ausrüstern und als Nobelkarossenhersteller am Markt zu halten und dafür den eigenen deutlich größeren Binnenmarkt sehenden Auges auszudörren und seine eigenen europäischen Kumpanen zu ruinieren ist allerdings ebenso wenig überzeugend. Für die Co-Manager mit dem Gewerkschaftsabzeichen mag es reichen, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen, für die Menschen, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben müssen, ist dieser Weg ruinös. 5 Jahre "Agenda" haben eine Ahnung davon vermittelt, wohin das führt. "Momentane Krisenlaune", würde unser "Chefökonom" sagen.


 
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