Es kann uns eigentlich völlig kalt lassen, ob jemand an Jesus, Mohammed oder Buddha glaubt. Das ist seine/ihre Privatangelegenheit. Das gilt auch für Lehrer und Politiker. Würde eine solche (Amts-)Person fordern, man müsse das naturwissenschaftliche Weltbild dadurch "ergänzen", dass man den Mythos von der Erde als einer Scheibe im Erdkundeunterricht diskutieren solle, dann würde jede(r) sagen: "Der/die spinnt wohl." Und wenn eine evangelische Religionslehrerin der Meinung wäre, es gebe "erstaunliche Übereinstimmungen zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte und der Evolutionslehre", wüsste man, dass es um ihre fachliche Kompetenz sehr schlecht bestellt ist. Man würde ihr raten ihr Fachwissen zu aktualisieren oder ihren Beruf zu wechseln. Sie ist offenkundig mit ihrer theologischen Ausbildung irgendwo im 18. Jahrhundert stecken geblieben. Spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert ist sich nämlich auch die seriöse christliche Bibel-Forschung darin einig, dass man weder das Alte noch das Neue Testament wörtlich nehmen darf. Dafür stehen Namen wie Bruno Bauer und Ludwig Feuerbach. Und im 20. Jahrhundert hat der evangelische Theologe Rudolf Bultmann mit seiner "historischen" Bibel-Exegese dafür gesorgt, dass das Wissen um den mythologischen Charakter der "Genesis" auch unter Christen weit verbreitet ist.
Dramatisch wird es jedoch, wenn eine nicht auf dem Stand der Bibel-Kunde stehende Religionslehrerin hessische Kultusministerin geworden ist. Karin Wolff (CDU) hat sich im Ministeramt mehrfach im Sinne der "Kreationismus" zur Gestaltung des Schulfaches Biologie geäußert. Ihre jüngsten Bekundungen haben einige Schlagzeilen gemacht.
Der Kreationismus entstammt dem protestantischen Fundamentalismus und wird besonders im "Bibelgürtel" (Bible Belt) im Süden der USA verfochten. Seine Anhänger lehnen die von Charles Darwin begründete wissenschaftliche Evolutionslehre ab. Eine ihrer zentralen Forderungen ist die Verankerung der Schöpfungsgeschichte im Schulunterricht. In mehreren US-Bundesstaaten haben sie Einfluss auf die Schulbücher und die Lehrplangestaltung gewonnen. Eine moderne Variante des Kreationismus ist die These vom "intelligent design". Danach hat die göttliche Schöpferkraft zwar nicht wortwörtlich im Sinne der 7-Tage-Schöpfungsgeschichte alles Leben geschaffen, aber doch eine Art Blaupause für die Entstehung des Lebens auf unserem Planeten vorgegeben.
Es hagelte empörte Proteste aus der Fachwissenschaft Biologie und aus dem Bereich der Wissenschaften gegen die Anmaßung der ehemaligen Religionslehrerin Wolff. "Die Schöpfungslehre eignet sich nicht zur Beschreibung der Evolution", erklärte die Deutsche Forschungsgemeinschaft, und gab ihre "Sorge" über die Äußerungen der Ministerin zu Protokoll. Und der "Verband deutscher Biologen" stellte klar: "Biblische Dogmen und Mythen sollten im naturwissenschaftlichen Unterricht keinen Raum haben". Ähnlich eindeutig äußerte sich der Chemie-Nobelpreisträger Hartmut Michel. Christliche Schöpfungslehre sei "keine Wissenschaft", urteilte er. Und der hessische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) protestierte ebenfalls gegen die Ministerin.
Das Kultusministerium sah sich zu einem Rückzieher veranlasst: Niemand wolle doch die biblische Schöpfungserzählung zum Inhalt des Faches Biologie machen. Es gehe doch nur darum, die naturwissenschaftliche Diskussion durch Auseinandersetzung mit philosophischen und religiösen Aussagen zu "ergänzen und zu erweitern". Also, alles nur ein bedauerliches Missverständnis?
Dem ist nicht so. Die FAZ schob in mehreren Kommentaren Rechtfertigungen für das inkompetente Verhalten der Ministerin nach. Und damit wird aus der ganzen Angelegenheit mehr als nur eine Posse über eine Provinzpolitikerin. In der Sonntagsausgabe der FAZ vom 8. Juli wird eine "Versöhnung von Biologie und Bibel" mit dem Argument gefordert, dass die Naturwissenschaften nur "einen Ausschnitt der Wirklichkeit" erfassten. Weshalb sie auch nicht behaupten könnten, dass sich "darüber hinaus nichts erkennen ließe". Tags darauf propagierte die FAZ auf der Titelseite ein wahres Credo der Metaphysik: Glaube und Vernunft stünden nicht in Konkurrenz. "Das Herz ´sieht´ anders als das Auge." Damit wird jeglichem Aberglauben Tür und Tor geöffnet.
Die Forderung nach einer gemeinsamen Behandlung von Evolutionslehre und Schöpfungsgeschichte drückt jedoch nicht nur den wachsender Einfluss des "Kreationismus" protestantischer Fundamentalisten auch in Deutschland aus. Schon Johannes Paul II. hatte anlässlich eines Besuches der Bundesrepublik Deutschland Anfang der 80er Jahre für den Katholizismus einen Führungsanspruch gegenüber den modernen Naturwissenschaften eingefordert. Und in der berüchtigten "Regensburger Rede" von Benedikt XVI. ging es um weit mehr als um eine dumme Bemerkung gegenüber dem Islam. Auch er reklamierte einen "eigentlichen" Führungsanspruch der Theologie gegenüber den Ideen der Aufklärung und der modernen Wissenschaften.
Insgesamt gehen deutsche protestantische "Fundis", Kreationisten und auch katholische "Bibeltreue" geschickter vor als der Großteil ihrer US-amerikanischen Gesinnungsfreunde. Zunächst wird nur eine "fachliche Kontroverse" über die Evolutionstheorie gefordert ohne die These vom "intelligent design" als direkten Unterrichtsinhalt zu fordern. Damit wären die Kreationisten unterschiedlichster Couleur jedoch ihrem eigentlichen Ziel, die "Schöpfungslehre" als gleich berechtigten Bestandteil des Fächerkanons durch zu drücken, ein beträchtliches Stück näher gekommen.