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•NEUES THEMA16.02.2020, 17:57 Uhr
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• 1932: C.v.Ossietzky zur Reichspräsidentenwahl
In ihrer WE-Ausgabe von gestern bringt die jW einen kommentierten Auszug aus einem Artikel von Carl von Ossietzky zur Reichspräsidentenwahl 1932. Angesichts dessen, was sich gerade vor unsere Augen als #FaschistischeGefahr / #FaschistischeBedrohung auftut, ist der Artikel in seiner Darstellung grundlegender Mechanismen (einschließlich antifaschistischer Fehler) an der Kippe des Wechsels der Herrschaftsform durch die Monopolbourgeoisie erschreckend aktuell.
Völlig skrupellose Gegner
Vor den Reichspräsidentenwahlen 1932 erklärte der Publizist Carl von Ossietzky, warum er für Ernst Thälmann stimmen werde. Die SPD rief zur Wahl Paul von Hindenburgs auf
Carl von Ossietzky: Gang eins. In: Die Weltbühne, 1. März 1932. Hier zitiert nach: Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Publizistik aus den Jahren 1913–1933. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1970, Seiten 248–255
In zwei Runden – am 13. März 1932 und am 10. April 1932 – fanden in Deutschland Reichspräsidentenwahlen statt. Zunächst traten fünf Kandidaten an, darunter Präsident Paul von Hindenburg, Adolf Hitler (NSDAP) und Ernst Thälmann (KPD). Die SPD rief mit »Schlagt Hitler!« zur Wahl Hindenburgs auf, Thälmann trat mit der Losung an »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg«. In der zweiten Runde kandidierten nur noch die drei Genannten. Es siegte Hindenburg mit 53,1 Prozent der Stimmen, Hitler erhielt 36,8 Prozent, Thälmann 10,2 Prozent. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.
Der Publizist Carl von Ossietzky veröffentlichte vor der Wahl am 1. März 1932 den Artikel »Gang eins«. Ein Auszug:
Das ist das Erschütternde an dem gegenwärtigen Zustand: Nicht der Fascismus siegt, die andern passen sich ihm an. (Reichskanzler, jW) Brüning sucht sich Hitler anzugleichen, die Sozialdemokraten bilden sich an Brüning. Der Fascismus bestimmt das Thema, das Niveau. (…)
Es mag Zeiten geben, wo auch in der Politik die Anpassung notwendig ist und Wunder bewirken kann. Aber in so entscheidenden Phasen wie heute kommt es nicht auf die Angleichung und Schutzfärbung an, sondern auf die Herausarbeitung des konsequenten Gegentyps der herrschenden Mächte.
Ein lehrreiches Exempel, wie diese Debatte (im Reichstag, jW) zu behandeln war, gab merkwürdigerweise der Staatsparteiler Doktor Weber, ein maßlos Gemäßigter sonst. Er verteidigte nämlich nicht die angezweifelte nationale Haltung seiner Leute, sondern hielt den Fascisten einfach ihre Mordliste vor. Und die ganze braune Fraktion stob auseinander wie eine Belialsschar (Teufel, jW), die plötzlich vor ein Pentagramm geraten ist. Der kleine Goebbels schlich beklommen hinterher wie der Kater beim Gewitter. (…)
Im übrigen muss noch immer mit einer Resignation Hindenburgs nach dem ersten Wahlgang gerechnet werden. Entspricht das Resultat nicht seinen Erwartungen, setzen wieder neue Intrigen von fascistischer Seite ein, stellt das Braune Haus (NSDAP-Zentrale in München, jW) etwa an Hitlers Stelle einen Hohenzollernprinzen auf, so wird sich der Reichspräsident kaum den Fährlichkeiten des zweiten Wahlgangs aussetzen. (Alfred) Hugenberg (1865–1951, Rüstungs- und Medienunternehmer, der etwa die Hälfte der deutschen Presse kontrollierte und mit nationalistischer und antisemitischer Propaganda den Nazis den Weg bereitete, jW) und Hitler sind völlig skrupellose Gegner, die sich mit dem Hinweis auf die Verantwortung nicht bluffen lassen. Sie werden nicht davor zurückschrecken, mit Petarden (Sprengwaffen zum Aufbrechen von Festungstoren, jW) zu schießen. (…)
Gern hätte ich als parteiloser Mann der Linken für einen akzeptablen Sozialdemokraten wie Paul Löbe oder Otto Braun gestimmt. Da kein sozialdemokratischer Kandidat vorhanden ist, muss ich schon für den kommunistischen stimmen. Wahrscheinlich werden viele, die ähnlich denken, ebenso handeln.
Man muss festhalten: Die Stimme für Thälmann bedeutet kein Vertrauensvotum für die Kommunistische Partei und kein Höchstmaß von Erwartungen. Linkspolitik heißt, die Kraft dort einsetzen, wo ein Mann der Linken im Kampfe steht. Thälmann ist der einzige, alles andre ist mehr oder weniger nuancierte Reaktion. Das erleichtert die Wahl.
Die Sozialdemokraten sagen: Hindenburg bedeutet Kampf gegen den Fascismus. Von wannen kommt den Herren diese Wissenschaft? Der Kandidat betont nur seine Überparteilichkeit, in Sturmzeiten eine lebensgefährliche Formel. Da Propaganda und Farbengebung der Kandidatur Hindenburgs ganz und gar in den Händen von Rechtsleuten liegt, so ist es auch völlig unmöglich, über Garantien zu disputieren, die man sonst von einem Kandidaten, einerlei, ob Parteimann oder nicht, verlangt. (…)
Es ist ein Unsinn, die Kandidatur Thälmanns als eine bloße Zählkandidatur hinzustellen. Wahrscheinlich wird Thälmann eine überraschend hohe Stimmenzahl erzielen können. Das wird übrigens heute schon von bürgerlichen Politikern in privaten Unterhaltungen geäußert. Je besser Thälmann abschneidet, desto deutlicher wird demonstriert, welch einen Erfolg eine sozialistische Einheitskandidatur hätte haben können, was für Möglichkeiten immer noch bestehen. Auf diese Lektion kommt es an. Die Hindenburg-Koalition zwischen ausgedienten Hofdamen der Monarchie und kommenden Höflingen der diktatorialen Republik ist ein Produkt von Parteibureaus, die das Tastgefühl für die Schwankungen der Wählerschaft verloren haben. Deutschland hat in diesen Jahren zuviel gelitten, zuviel gehungert, um sich in seinen Entscheidungen von Pietät bestimmen zu lassen. Die meisten haben nichts zu gewinnen, wohl aber eine verlorene Existenz zu rächen.
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Völlig skrupellose Gegner
Vor den Reichspräsidentenwahlen 1932 erklärte der Publizist Carl von Ossietzky, warum er für Ernst Thälmann stimmen werde. Die SPD rief zur Wahl Paul von Hindenburgs auf
Carl von Ossietzky: Gang eins. In: Die Weltbühne, 1. März 1932. Hier zitiert nach: Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Publizistik aus den Jahren 1913–1933. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1970, Seiten 248–255
In zwei Runden – am 13. März 1932 und am 10. April 1932 – fanden in Deutschland Reichspräsidentenwahlen statt. Zunächst traten fünf Kandidaten an, darunter Präsident Paul von Hindenburg, Adolf Hitler (NSDAP) und Ernst Thälmann (KPD). Die SPD rief mit »Schlagt Hitler!« zur Wahl Hindenburgs auf, Thälmann trat mit der Losung an »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg«. In der zweiten Runde kandidierten nur noch die drei Genannten. Es siegte Hindenburg mit 53,1 Prozent der Stimmen, Hitler erhielt 36,8 Prozent, Thälmann 10,2 Prozent. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.
Der Publizist Carl von Ossietzky veröffentlichte vor der Wahl am 1. März 1932 den Artikel »Gang eins«. Ein Auszug:
Das ist das Erschütternde an dem gegenwärtigen Zustand: Nicht der Fascismus siegt, die andern passen sich ihm an. (Reichskanzler, jW) Brüning sucht sich Hitler anzugleichen, die Sozialdemokraten bilden sich an Brüning. Der Fascismus bestimmt das Thema, das Niveau. (…)
Es mag Zeiten geben, wo auch in der Politik die Anpassung notwendig ist und Wunder bewirken kann. Aber in so entscheidenden Phasen wie heute kommt es nicht auf die Angleichung und Schutzfärbung an, sondern auf die Herausarbeitung des konsequenten Gegentyps der herrschenden Mächte.
Ein lehrreiches Exempel, wie diese Debatte (im Reichstag, jW) zu behandeln war, gab merkwürdigerweise der Staatsparteiler Doktor Weber, ein maßlos Gemäßigter sonst. Er verteidigte nämlich nicht die angezweifelte nationale Haltung seiner Leute, sondern hielt den Fascisten einfach ihre Mordliste vor. Und die ganze braune Fraktion stob auseinander wie eine Belialsschar (Teufel, jW), die plötzlich vor ein Pentagramm geraten ist. Der kleine Goebbels schlich beklommen hinterher wie der Kater beim Gewitter. (…)
Im übrigen muss noch immer mit einer Resignation Hindenburgs nach dem ersten Wahlgang gerechnet werden. Entspricht das Resultat nicht seinen Erwartungen, setzen wieder neue Intrigen von fascistischer Seite ein, stellt das Braune Haus (NSDAP-Zentrale in München, jW) etwa an Hitlers Stelle einen Hohenzollernprinzen auf, so wird sich der Reichspräsident kaum den Fährlichkeiten des zweiten Wahlgangs aussetzen. (Alfred) Hugenberg (1865–1951, Rüstungs- und Medienunternehmer, der etwa die Hälfte der deutschen Presse kontrollierte und mit nationalistischer und antisemitischer Propaganda den Nazis den Weg bereitete, jW) und Hitler sind völlig skrupellose Gegner, die sich mit dem Hinweis auf die Verantwortung nicht bluffen lassen. Sie werden nicht davor zurückschrecken, mit Petarden (Sprengwaffen zum Aufbrechen von Festungstoren, jW) zu schießen. (…)
Gern hätte ich als parteiloser Mann der Linken für einen akzeptablen Sozialdemokraten wie Paul Löbe oder Otto Braun gestimmt. Da kein sozialdemokratischer Kandidat vorhanden ist, muss ich schon für den kommunistischen stimmen. Wahrscheinlich werden viele, die ähnlich denken, ebenso handeln.
Man muss festhalten: Die Stimme für Thälmann bedeutet kein Vertrauensvotum für die Kommunistische Partei und kein Höchstmaß von Erwartungen. Linkspolitik heißt, die Kraft dort einsetzen, wo ein Mann der Linken im Kampfe steht. Thälmann ist der einzige, alles andre ist mehr oder weniger nuancierte Reaktion. Das erleichtert die Wahl.
Die Sozialdemokraten sagen: Hindenburg bedeutet Kampf gegen den Fascismus. Von wannen kommt den Herren diese Wissenschaft? Der Kandidat betont nur seine Überparteilichkeit, in Sturmzeiten eine lebensgefährliche Formel. Da Propaganda und Farbengebung der Kandidatur Hindenburgs ganz und gar in den Händen von Rechtsleuten liegt, so ist es auch völlig unmöglich, über Garantien zu disputieren, die man sonst von einem Kandidaten, einerlei, ob Parteimann oder nicht, verlangt. (…)
Es ist ein Unsinn, die Kandidatur Thälmanns als eine bloße Zählkandidatur hinzustellen. Wahrscheinlich wird Thälmann eine überraschend hohe Stimmenzahl erzielen können. Das wird übrigens heute schon von bürgerlichen Politikern in privaten Unterhaltungen geäußert. Je besser Thälmann abschneidet, desto deutlicher wird demonstriert, welch einen Erfolg eine sozialistische Einheitskandidatur hätte haben können, was für Möglichkeiten immer noch bestehen. Auf diese Lektion kommt es an. Die Hindenburg-Koalition zwischen ausgedienten Hofdamen der Monarchie und kommenden Höflingen der diktatorialen Republik ist ein Produkt von Parteibureaus, die das Tastgefühl für die Schwankungen der Wählerschaft verloren haben. Deutschland hat in diesen Jahren zuviel gelitten, zuviel gehungert, um sich in seinen Entscheidungen von Pietät bestimmen zu lassen. Die meisten haben nichts zu gewinnen, wohl aber eine verlorene Existenz zu rächen.
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