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NEUES THEMA27.07.2016, 08:00 Uhr
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• Brexit – nicht gut für Europa? 1993, drei Jahre nach der Einverleibung der DDR, durch die der deutsche Staat zum größten Staat innerhalb der Europäischen Union geworden ist, erklärte der damalige Außenminister Kinkel: „Nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht.“1 Den Rahmen für diese Rolle sollte die Europäische Union darstellen. Um wessen Wünsche und Potential es bereits in zwei verlorenen Weltkriegen und nun wieder dabei ging, zeigte sich unmittelbar. Die großen deutschen Banken und Konzerne rissen sich in den osteuropäischen Staaten unter den Nagel, was sie brauchen konnten, wie z.B. VW die Skoda-Werke. Gleichzeitig verhandelte die deutsche Regierung mit den anderen EU-Staaten um die Aufnahme dieser Staaten in die EU.

Für die deutschen Kapitalinvestitionen dort sollten so sichere politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Staaten über die Beitrittsverhandlungen praktisch diktiert wurden. Der „Einklang mit den Nachbarn“, in erster Linie mit den anderen EU-Großmächten Frankreich und Großbritannien, die den deutschen Wünschen nach einer Osterweiterung der EU äußerst misstrauisch gegenüberstanden, konnte dabei nur mit handfesten Drohungen hergestellt werden. So hieß es in einem Papier der CDU/CSU-Fraktion: „Ohne ein solche Weiterentwicklung der (west-)europäischen Integration könnte Deutschland aufgefordert werden oder aus eigenen Sicherheitszwängen versucht sein, die Sicherung des östlichen Europa alleine und in der traditionellen Weise zu bewerkstelligen.“2 Die traditionelle Weise, das sollte man dabei bedenken, mündete in zwei Weltkriegen.

Entsprechend der Wünsche von BMW …

[file-periodicals#190]Für den BMW-Konzern ergab sich 1994 eine andere europäische Gelegenheit, sich gegenüber den einheimischen und ausländischen Konkurrenten entsprechend den eigenen Wünschen und des von den Beschäftigten erarbeiteten Potentials zu stärken: Das britische Automobilwerk Rover wurde von British Aerospace verkauft. BMW schlug zu, drängte Honda, die an Rover beteiligt war, raus und wurde so alleiniger Besitzer der gesamten Rover-Gruppe. Solange sich die Rover-Modelle gut verkaufen ließen und, unterstützt von Subventionen des britischen Staats zur Sanierung des Werks, reichlich Profit an die Eigentümerfamilie von BMW floss, hatten weiterhin fast 50.000 Arbeiter in England ihren Job. Doch als der Absatz stockte und sich dadurch der Export des Rover zusätzlich erschwerte, fuhr BMW Verluste ein. Man drängte die Arbeiter zu Lohnverzicht, baute Stellen ab, versprach, Rover erhalten zu wollen – um das Werk kurz darauf zu zerschlagen. Die Rosinen, die Produktion des Mini, pickte man sich heraus, der Rest wurde verkauft. Die Folge war, dass der frühere und jetzt wieder neue Konkurrent von BMW nun am Boden lag und zehntausende Arbeiter in die Erwerbslosigkeit geschickt worden sind. Um sie mussten sich nun die britischen Arbeits- und Sozialämter kümmern. Schon damals, im Jahr 2000, gab es britische Abgeordnete, die den Austritt ihres Landes aus der EU forderten.

…Siemens, Deutsche Bank, Telekom, Deutsche Bahn

Das alles ist lange her und BMW nur ein Beispiel. Siemens, die Deutsche Bahn, die Post, die Telekom, die Energiekonzerne RWE und EON, die Deutsche Bank, Lufthansa …, sie alle nutzten und nutzen den einheitlichen Markt der EU ohne Grenzen und Schranken für den Waren- und Kapitalverkehr, um, nicht nur in Großbritannien, Fabriken und Banken aufzukaufen oder auch wieder zu verkaufen, wenn sie nicht die erwarteten Profite bringen. 121 Milliarden Euro beträgt inzwischen der Besitz deutscher Konzerne an Fabriken, Bahnen, Banken und anderen Unternehmen alleine in Großbritannien.3

Umgekehrt sind britische Banken und Konzerne nur mit 49 Milliarden Euro in Deutschland vertreten. Darüber hinaus ist Großbritannien der drittwichtigste Exportmarkt (nach den USA und Frankreich) für die deutschen Kapitalisten. Waren im Wert von 89 Milliarden Euro wurden 2015 dorthin exportiert, aber nur Waren im Wert von 38 Milliarden von dort importiert. Ein Handelsüberschuss von 51 Milliarden Euro zugunsten Deutschlands also, was ja nichts anderes bedeutet, als dass auch aus den großen Staaten der EU, wie Großbritannien, dort geschaffener Reichtum nach Deutschland abfließt, sich die Kräfteverhältnisse verschieben.

Grenzen deutscher Hegemoniebestrebungen:
„im Einklang mit den Nachbarn“


Kein Wunder also, dass die Aufregung hierzulande groß ist über das mehrheitliche Votum der britischen Wähler für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Doch es ist nicht alleine die Sorge, wie das nun mit Großbritannien weitergeht, ob wieder Zölle eingeführt werden, die Investitionssicherheit gefährdet ist usw. Das hofft man in den Austrittsverhandlungen mit entsprechendem Druck regeln zu können - wenn nicht klammheimlich überhaupt darauf gesetzt wird, dass die britische Regierung einen Weg findet, das Ergebnis des Referendums zu übergehen. Denn was Politiker, Regierung und im Hintergrund die Kapitalvertreter vor allem umtreibt, ist die Angst, dass dies nicht der einzige Austritt aus der EU bleibt, in der die krisenhafte Entwicklung an allen Ecken und Enden unübersehbar ist. Es ist die Angst, das britische Votum könnte der Anfang vom Ende der EU sein – einer EU, in und mit der sich die deutschen Monopole und ihr Staat eine Stellung in Europa errungen haben, wie es bisher noch nie der Fall war.

Und wir?

Und wir – Arbeiter, Ingenieure, Bank- oder Bahnangestellte – was heißt das für uns? Die mächtige Stellung innerhalb der EU konnten die deutschen Banken und Konzerne, konnte dieser Staat nur erreichen, weil sie immer mehr Reichtum aus uns herausgepresst haben. Das war und ist der Zweck der permanenten Angriffe auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen in Form der Gesundheits- und Rentenreformen, in Form der gesamten Agenda 2010, der längeren Arbeitszeiten und Reallohnsenkungen. Immer mehr überschüssiges Kapital sammelte sich in den Händen der Kapital-Eigentümer, mit dem Fabriken, Bahnen, Banken in den anderen EU-Ländern aufgekauft worden und Absatzmärkte erobert worden sind. Das wird sich nicht ändern, egal ob Großbritannien nun aussteigt aus der EU oder nicht. Das können nur wir ändern, indem wir uns zur Wehr setzen, unsere Gewerkschaften auf Vordermann bringen, kämpfen.

In Solidarität mit den britischen, französischen, griechischen … Kolleginnen und Kollegen - für uns und unser aller Zukunft.


Anmerkungen:
1 Frankfurter Allgemeine Zeitung 19.3.1993
2 „Überlegungen zur europäischen Politik“, 1.9.1994, abrufbar unter: Link ...jetzt anmelden!
3 Deutsche Direktinvestitionen in GB, Stand 2014, nach:
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