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NEUES THEMA17.02.2024, 15:19 Uhr
EDIT: FPeregrin
17.02.2024, 15:20 Uhr
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FPeregrin

• Geschichte der Migrationspolitik des dt. Imp. Gestern veröffentlichte die jW wieder einen mehr als 30 Jahre alten Artikel von Knut Mellentin, der sich mit der Geschichte der Migrationspolitik des dt. Imp. bis 1990 befaßt. Zur zeitlichen Einordnung: Der Artikel erschien erstmalig im Januar 1992; dies war die Zeit, in der die herrschende Klasse ihren "Asylkompromiß" zusammenkochen ließ, der auf eine faktische Abschaffung des Asylrechts hinauslief. Hierzu zitiere ich den Artikelkopf von WikiPedia: "Asylkompromiss nennt man die von CDU/CSU und SPD am 6. Dezember 1992 vereinbarte und am 26. Mai 1993 durch den Deutschen Bundestag beschlossene Neuregelung des Asylrechts unter der Regierung des vierten Kabinetts Helmut Kohl durch die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP mit Zustimmung der (für die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlichen) SPD-Opposition. Durch die Änderung des Grundgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes (mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 umbenannt in Asylgesetz) wurden die Möglichkeiten eingeschränkt, sich erfolgreich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Weitere Bestandteile des Asylkompromisses waren die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes sowie die Schaffung eines eigenständigen Kriegsflüchtlingsstatus (§ 32a Ausländergesetz). Dem Asylkompromiss ging mit der Asyldebatte eine der schärfsten, polemischsten und folgenreichsten Auseinandersetzungen der deutschen Nachkriegsgeschichte voraus."

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Jahrzehntelang eingeübte Muster

Zwischen Anwerbung und Zuzugsbegrenzung – begleitet von rassistischen Kampagnen. Zur Asylpolitik der Bundesrepublik bis 1990

Von Knut Mellenthin

Heuchelei, Lügen und pathetische Theatralik prägen den herrschenden Diskurs der etablierten Politiker und Medien. Seit das Netzwerk Correctiv am 10. Januar mit fragwürdiger Verspätung ein »Geheimtreffen« mit Vertretern von AfD und CDU »enthüllt« hat, das in Wirklichkeit schon am 25. November vergangenen Jahres stattgefunden hatte, erzählen Politiker und Journalisten, wie »entsetzt« sie über das Offenbarte sind.

Aber dass die AfD sich in ihrer Gesamtheit völlig offen und unverschämt für »Remigration«, also für eine menschenverachtende Vertreibungspolitik einsetzt, die sogar vor deutschen Staatsbürgern nicht Halt macht, weiß man seit Monaten, wenn man gelegentlich Nachrichten schaut oder Zeitungen liest. Dafür hätte es das kriminalistische Getue von Correctiv, das ein bisschen nach Beteiligung des Verfassungsschutzes riecht, wirklich nicht gebraucht. Zumindest die sogenannte Jugendorganisation der AfD demonstriert offen mit der Parole »Remigration«. Politiker sind überrascht? Wirklich? Sind sie so extrem desinteressiert an dem, was sich außerhalb ihrer Blase tut?

Und dann: Hat die ausländerfeindliche Politik und Stimmungsmache nicht eine jahrzehntelange Tradition in »diesem unserem Land«? Der folgende Text, redaktionell etwas gekürzt, wurde am 16. Dezember 1992 in der Zeitschrift Analyse und Kritik veröffentlicht. (km)


Deutschland war jahrhundertelang eines der Hauptauswanderungsländer, und diese Tendenz war noch in den zwanziger Jahren vorherrschend. Eine nur regionale und zeitweise Besonderheit war, hauptsächlich in den Jahrzehnten 1890-1910, die Anwerbung von einigen hunderttausend Polen für den Bergbau und die Eisenverarbeitung im Ruhrgebiet. Um 1910 lag in mehreren Bezirken der Region der polnische Bevölkerungsanteil um die zehn Prozent, mit Spitzen in Recklinghausen und Herne (über 20 Prozent). Nach dem Ersten Weltkrieg »verschwand« diese nationale Minderheit allmählich. Ein großer Teil der Ruhrgebietspolen wanderte schon in den ersten Jahren nach 1918 ab, teils nach Polen (wo es erstmals seit 150 Jahren wieder einen unabhängigen Nationalstaat gab), teils in die Industriegebiete Belgiens und Frankreichs. Das war vor allem durch die extrem schlechte Wirtschaftslage in Deutschland bedingt. Die, die blieben, wurden »assimiliert«, »eingedeutscht«, verloren den Charakter einer besonderen nationalen Gruppe.

1955–73: Ausländer rein!

Von diesem Sonderfall und kleineren Gruppen (z. B. Hugenotten seit Ende des 16. Jahrhunderts, Juden aus Osteuropa im 19. und frühen 20. Jahrhunderts) abgesehen war Deutschland insgesamt kein Einwanderungsland gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich der Wiederaufstieg der (west-)deutschen Wirtschaft aber in einem Tempo und in einem Ausmaß, das eine bis dahin beispiellose Zuwanderung zuließ und erforderte. Allein im Zeitraum bis zur Abriegelung der DDR-Staatsgrenze in Berlin 1961 nahm die BRD etwa 15 Millionen Flüchtlinge und Übersiedler aus den »ehemaligen deutschen Ostgebieten« und aus der DDR auf. Zwischen 1962 und 1988 kamen aus der DDR noch einmal rund 550.000 (netto) hinzu, sowie einige weitere hunderttausend Aussiedler aus Osteuropa (Polen, Rumänien, UdSSR).

Zusätzlich leitete die BRD durch das erste Anwerbeabkommen mit Italien 1955 den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte ein – zu einem Zeitpunkt, als die Nachkriegsarbeitslosigkeit noch nicht einmal vollständig abgebaut war. Tatsächlich entwickelte sich die Einwanderung zunächst nur schwach und gewann erst ab Anfang der sechziger Jahre an Schwung, nachdem Abkommen auch mit Griechenland und Spanien (1960), der Türkei (1961), Marokko und Tunesien sowie als letztes in der Reihe 1968 mit Jugoslawien abgeschlossen worden waren.

Der ausländische Anteil an der Gesamtzahl der Beschäftigten erhöhte sich zwischen 1955 und 1960 nur mäßig von 0,4 auf 1,3 Prozent, lag 1965 schon bei 5,5 Prozent und erreichte 1973 mit 11,5 Prozent das Maximum (zum Vergleich 1989: 7,8 Prozent).

Mitte der sechziger Jahre gab es den ersten Konjunktureinbruch in der Geschichte der BRD, der allerdings nur kurz und nicht sehr stark war. Immerhin reichte das, um in den Jahren 1966–68 einen Rückgang der Zahl ausländischer Arbeitskräfte in der BRD zu verursachen. 1967 verließen rund 200.000 mehr Ausländer die BRD als zuzogen. Jedoch stieg die Zuwanderung schnell wieder an und erreichte 1970 mit fast einer Million (gegen etwa 350.000 Wegzüge) eine Rekordhöhe. Inzwischen waren die Türken zur stärksten Einwanderergruppe geworden, und fast die Hälfte der neuen Zuwanderer war unter 21 Jahre alt. Es begann sich schon zu dieser Zeit zu zeigen, dass das ursprüngliche Konzept, »rotierende« Wanderarbeiter zu rekrutieren und bei rückläufigem Bedarf auch wieder nach Hause zu schicken, gescheitert war.



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NEUER BEITRAG17.02.2024, 15:30 Uhr
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Die Wende von 1973

Im November 1973 ordnete die Bundesregierung einen totalen Stopp für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte außerhalb der Europäischen Gemeinschaft an. Um Ausreden nie verlegen, stellte die Koalition aus SPD und FDP im November 1973 den Anwerbestopp als unmittelbare Reaktion auf den »Ölboykott« dar, den die arabischen Regierungen nach dem Jom-Kippur-Krieg verkündet hatten. In Wirklichkeit ergriff die sozialliberale Koalition lediglich die Gelegenheit, um umzusetzen, was schon im Verlauf des Jahres 1972 und in der ersten Hälfte des Jahres 1973 herangereift war. Diese Politik bestand in zweierlei:

1. Gegen den Widerstand der CDU/CSU stellten sich SPD und FDP 1972 darauf ein, dass ein erheblicher Teil der Immigranten beabsichtigte, sich länger oder dauernd in der BRD niederzulassen. Vorstöße der CDU/CSU, die »Rotation« mit ausländerrechtlichen Zwangsmitteln durchzusetzen, wurden zurückgewiesen.

2. Die Zahl der in der BRD lebenden Ausländer sollte, abgesehen von einem nicht allzu großzügigen Familiennachzug, etwa auf dem bestehenden Niveau stabilisiert werden. Zu diesem Zweck legte die Bundesregierung Anfang Juni 1973 im Bundestag ein Aktionsprogramm vor, das einen ersten Katalog »ausländerbegrenzender« Maßnahmen enthielt. Dazu gehörten: schärfere Richtlinien für die Unterkünfte ausländischer Arbeiter, um den Kapitalisten durch erhöhte Kosten und Anforderungen die Anwerbung unattraktiver zu machen. »Die Zulassung ausländischer Arbeitnehmer in überlasteten Siedlungsgebieten soll von der Aufnahmefähigkeit der sozialen Infrastruktur abhängig gemacht werden.« Hierfür sollten »bundeseinheitliche Zulassungskriterien« ausgearbeitet werden. Die Gebühren für die Vermittlung ausländischer Arbeiter sollten »spürbar« erhöht werden – auch dies natürlich mit dem Ziel, die Beschäftigung teurer, also unattraktiver zu machen. Tatsächlich wurde diese Gebühr dann von 300 auf 1.200 D-Mark vervierfacht. »Falls diese Maßnahmen nicht in dem gewünschten Maße zur Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung beitragen sollten, wäre an die Einführung einer besonderen Wirtschaftsabgabe für die Beschäftigung von Ausländern zu denken.« Gegen illegale Beschäftigungsverhältnisse sollte »wirksamer« und schärfer als bisher vorgegangen werden.

Der Spiegel hatte alle Punkte dieses »Ausländerstopp«-Programms schon zwei Monate vorher bekanntgegeben (Nr. 13/1973). Eine Beschlussfassung der Bundesregierung war dringend geworden, weil vielfach Städte und Gemeinden dazu übergegangen waren, eigenmächtig »Zuzugssperren« für bestimmte Stadtteile oder den ganzen Ort zu verhängen. Mit der These, Ausländeranteile von zehn oder 15 Prozent in einem Stadtteil würden eine unerträgliche »Überfremdung« darstellen, wurden mehrere Bezirke Westberlins für ausländischen Zuzug geschlossen.

In erster Linie ging es gegen den türkischen Bevölkerungsteil. Instruktiv für den Ton der damaligen Kampagne ist die Titelgeschichte im Spiegel Nr. 31/1973 (30. Juli). Die Überschrift lautete: »Die Türken kommen – rette sich, wer kann«. Da war beispielsweise zu lesen: »In immer größeren Schüben schwärmen sie von den Gestaden des Bosporus und aus dem Hochland von Anatolien ein (…). Der Andrang vom Bosporus verschärft eine Krise, die in den von Ausländern überlaufenen Ballungszentren schon lange schwelt. Städte wie Berlin, München oder Frankfurt können die Invasion kaum noch bewältigen.« Zwischenüberschriften des Artikels lauteten: »Ein Türke bleibt nicht lange allein«; »Fremdartiger Küchengeruch vertreibt die Deutschen«; »Wenn gestochen wird, ist häufig ein Türkei dabei«.

An Gründen für das damalige Vorgehen sind unter anderem zu nennen: Erstens: das Scheitern des »Rotationsprinzips«, d. h. des Versuchs, den Aufenthalt von ausländischen Arbeitern in der BRD nur als vorübergehend, nicht als dauerhafte Einwanderung zu regulieren. Daraus resultierte eine Politik, die bisherige Einwanderung als gegeben hinzunehmen und zu »integrieren«, weiteren Zuzug jedoch möglichst gering zu halten.

Zweitens: Die ersten Anzeichen einer internationalen Rezession waren sichtbar, die sich dann als sehr langwierig erwies. Der Bedarf nach Import von Arbeitskraft wurde geringer.

Drittens: Insbesondere die Einwanderung aus der Türkei setzte anscheinend die dümmsten rassistischen Emotionen und Reflexe frei, nach dem Motto: Der Deutsche gerät in Panik, wenn aus der Nachbarwohnung Knoblauchduft und orientalische Musik herüberdringen. Die Türken seien großenteils »nicht integrierbar«, hieß es damals. Sollte offenbar heißen: Ein Zusammenleben mit ihnen sei der deutschen Bevölkerung nicht zuzumuten, jedenfalls nicht »im Übermaß«, das bei einem Anteil von zehn Prozent schon erreicht schien.

Viertens: Die kleine Wirtschaftskrise Mitte der sechziger Jahre hatte in Verbindung mit einer Reihe weiterer Faktoren kurzfristig zu teilweise sensationellen Wahlergebnissen für die NPD geführt. Als solche zusätzlichen Faktoren sind zu nennen: die Bildung der großen Koalition, die rechte Anhänger der CDU/CSU verstörte und der NPD zeitweise die Rolle der »einzigen Opposition« verschaffte. Außerdem: Der weitgehende Zusammenbruch der revanchistischen Ostpolitik, auf den die CDU/CSU keine einheitliche Antwort zu geben wusste und der ihren rechten Flügel zur Annäherung an NPD-Positionen brachte. Jedenfalls: Der kleine Boom der NPD führte dazu, dass sich CDU/CSU und SPD auf einigen von den Rechtsradikalen »besetzten« Feldern anstrengten, um ihre verlorenen Schäfchen zurückzuholen.

Bleibt noch die Frage, was der Anwerbestopp im Sinne der »Begrenzer« gebracht hat. Tatsächlich halbierte sich zwischen 1973 und 1975 der Zuzug von Ausländern, was auch mit der konjunkturellen Abschwächung zusammenhing. Er stieg dann 1980 noch einmal an, sackte aber von 1981 bis 1983 wieder ab. Inzwischen hatte eine zweite Welle »ausländerbegrenzender« Regierungspolitik eingesetzt, eingeleitet von der Regierung Schmidt (SPD) und nach deren Sturz im Herbst 1982 von CDU/CSU verschärft fortgesetzt. 1984 fiel der Zuzug auf den tiefsten Stand seit Ende der fünfziger Jahre. Aber schon seit 1985 lagen die Einwanderungszahlen wieder erheblich über denen der Wegziehenden.


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NEUER BEITRAG17.02.2024, 18:06 Uhr
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Die erste »Asylantenflut«

Die erste Diskussion über »Asylmissbrauch« durch »Wirtschaftsflüchtlinge« gab es schon Mitte der sechziger Jahre. Grund der Aufregung, die damals aber von den Bonner Parteien überhaupt nicht geteilt wurde, waren einige tausend jugoslawische Asylsuchende; sie machten zu dieser Zeit rund die Hälfte oder mehr aller Antragsteller aus. Tatsächlich ging es wohl im wesentlichen darum, den Umstand zu unterlaufen, dass es mit Jugoslawien noch kein Anwerbeabkommen gab; diese Lücke wurde erst 1968 geschlossen. Aufgrund dieser Situation fasste die Bundesinnenministerkonferenz im August 1966 den Beschluss, »Ostblockflüchtlingen« automatisch ein Bleiberecht zu garantieren, auch ohne erfolgreiches Anerkennungsverfahren. Asylsuchenden aus anderen Ländern wurden häufig nicht einmal persönlich erlittene Repressalien, wie Haft und Folter, als Anerkennungsgrund zugebilligt.

Die meisten Begriffe heutiger Antiausländerpolitik wie »Asylantenschwemme«, »Überflutung«, die bildhaften Vergleiche mit Naturkatastrophen oder Heuschreckenschwärmen, all das wurde im Jahr 1980 kreiert und ist seither Bestandteil der Propaganda. Wie schon erwähnt, überstieg die Zahl der Anträge in jenem Jahr erstmals das Limit von 100.000. Mit rund 108.000 war das eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr 1979 (51.000) und eine Verdreifachung zu 1978 (33.000).

Dass Ende der siebziger Jahre eine erhebliche Veränderung im Flucht- und Migrationsverhalten eingetreten war, ist offensichtlich. War man doch in der BRD noch bis 1967 daran gewöhnt gewesen, dass die Zahl der Asylanträge unter 5.000 jährlich lag. Zusammen mit der Zunahme der Zahl änderte sich außerdem die Struktur der Antragsteller. Früher kamen sie zu über 90 Prozent aus den Staaten des »realsozialistischen« Blocks, waren weiß, oft gut ausgebildet, bürgerlich und – auch nicht zu verachten – stramme Antikommunisten. In etlichen Jahren leistete die BRD sich vor diesem Hintergrund Anerkennungsquoten von über 50 Prozent, ja sogar 70 bis 85 Prozent (1969–71). 1974 jedoch kam erstmals weniger als die Hälfte der Antragsteller aus Osteuropa, und dieser Trend setzte sich verstärkt fort, während andererseits die Zahl der Asylsuchenden aus Ländern der »Dritten Welt« stark anstieg. Der deutsche Staat und seine außerordentlich unabhängige Justiz reagierten sofort: Die Anerkennungsquoten gingen von 70 Prozent 1971 über immerhin noch 33 Prozent 1975 auf knapp elf Prozent 1980/81 in den Keller.

Eine wesentliche Rolle spielten in der damaligen »Überfremdungs«-Debatte der SPD-Politiker Martin Neuffer mit seinem 1982 erschienenen Buch »Die Erde wächst nicht mit« und andere ähnlich argumentierende rechte Analytiker. Neuffer war Oberstadtdirektor in Hannover, Präsident des Städtetages und NDR-Intendant. Aufgrund einer insgesamt wohl realistischen Einschätzung der globalen Migrationsbewegungen und ihrer künftigen Entwicklung prognostizierte er in seinem Buch: »Der Auswanderungsdruck aus den Ländern der Dritten Welt mit ihrem explosiven Bevölkerungswachstum wird sich angesichts von Elend, Hunger und Hoffnungslosigkeit um ein Vielfaches steigern. (…) Die reicheren Länder werden sich gegen diesen Ansturm zur Wehr setzen. Sie werden Befestigungsanlagen an ihren Grenzen errichten, wie sie heute nur zum Schutz von Kernkraftwerken dienen. Sie werden Minenfelder legen und Todeszäune und Hundelaufgehege bauen.«

Neuffer argumentierte aber nicht nur mit der Zahl der Einwanderungswilligen, sondern auch mit deren angeblicher Nicht-»Integrierbarkeit«. So richtete sich seine Polemik keineswegs nur gegen potentielle Neuzuwanderer, sondern auch gegen die schon in der BRD lebende ausländische Bevölkerung, insbesondere wieder gegen die Türken, die ja schon seit Anfang der siebziger Jahre im Zentrum rassistischer Angriffe standen.

»Diese Verlagerung des türkischen Bevölkerungswachstums in die Bundesrepublik ist, mit Verlaub gesagt, ein gemeingefährlicher Unfug. In den meisten Fällen besteht nur wenig Aussicht, dass die gutgemeinten Integrationsbemühungen der Bundesrepublik je dazu führen werden, dass diese Türken Deutsche werden. (…) Je mehr Türken hier leben, um so geringer ist die Aussicht, dass es zu einer echten ›Einbürgerung‹ kommt. (…) So wächst zur Zeit eine starke, im ganzen wenig assimilationsfähige völkische Minderheit heran. Die übliche Integrationspolitik ist in vielen Türkenstadtteilen jetzt schon eine Farce.«

Neuffers Gegenrezept: eine Politik, »die den weiteren Zustrom, auch von Familienangehörigen, scharf einengt und die Verbote mit starken materiellen Anreizen für eine Rückwanderung verbindet«. Die BRD müsse ihre Grenzen weitgehend vor ausländischen Einwanderern schließen, denn: »Wir sollten aus dem türkischen Problem lernen, wie sehr es darauf ankommt, vorbeugend zu handeln.« Für die Asylpolitik bedeutete das nach Ansicht Neuffers: »Beschränkung des Asylrechts auf Bürger europäischer Länder«.


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NEUER BEITRAG17.02.2024, 18:08 Uhr
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Schikanöse Maßnahmen

Schon aufgrund des absolut betrachteten geringfügigen Anstiegs der Asylanträge Mitte der siebziger Jahre hatten einzelne Bundesländer zu schikanösen, offenkundig illegalen Maßnahmen gegriffen, allen voran Bayern und Baden-Württemberg. So gab es beispielsweise Anweisungen, Antragsteller aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote (u. a. Pakistan und Jordanien) von vornherein pauschal abzuweisen.

Mit dem »Ersten Beschleunigungsgesetz« von 1978 versuchte die Bundesregierung, den juristischen Ablauf der Asylverfahren stärker zu vereinheitlichen und zu verkürzen; außerdem hoffte man, damit dämpfend auf die Zahl der Anträge wirken zu können. Dieser Versuch war aber so »halbherzig«, dass er keinen seiner Zwecke erreichte. So wurde 1980 ein »Zweites Beschleunigungsgesetz« durch die parlamentarischen Instanzen gejagt – mit dem Vermerk, dass es nur eine Übergangsregelung bis zu einer allgemeinen Neufassung des Verfahrens darstellen sollte.

Wichtiger als die juristischen Basteleien war jedoch eine Reihe praktischer Maßnahmen, die teils direkt abschottend, teils allgemein abschreckend auf potentielle Asylsuchende wirken sollte. Ein entscheidender Schritt war 1980 die Einführung der Visumspflicht für mehrere Länder, aus denen die größten Gruppen von Asylsuchenden kamen: Afghanistan, Äthiopien, Sri Lanka, Indien, Bangladesch sowie schließlich auch für die Türkei. Die Fluggesellschaften wurden unter Androhung von Kosten und noch härteren Eingriffen verpflichtet, die Reisedokumente ihrer Passagiere streng zu kontrollieren.

Ebenfalls 1980 ließ die Bundesregierung anordnen, Asylsuchenden im ersten Jahr ihres Aufenthalts keine Arbeitserlaubnis zu geben; 1981 wurde die Frist auf zwei Jahre ausgedehnt, 1987 sogar auf fünf Jahre. Erst 1991 wurde das Arbeitsverbot ganz aufgehoben.

Während der Effekt auf den Arbeitsmarkt vermutlich gering zu veranschlagen war, diente das Arbeitsverbot vor allem dazu, die Antragsteller als »Schmarotzer« zu diffamieren, die »faul herumlungern« und »von unseren Steuergeldern leben«. Gleichzeitig experimentierten 1981/82 einige Bundesländer und Gemeinden damit, Asylsuchende zu Zwangsarbeiten, wie Straßenreinigung und Schneeräumen, zu zwingen. Dagegen legten sich mit Erfolg vor allem die Gewerkschaften quer, die zu Recht meinten, dass dabei die Tarife zum Teufel gehen würden und die Entlassung »normaler« Arbeiter attraktiv gemacht würde.

Als eine der letzten Handlungen der sozialliberalen Schmidt-Regierung vor ihrem Sturz wurde im Sommer 1982 ein neues Asylverfahrensgesetz beschlossen. Außerdem wurde 1982 die Unterbringung in »Sammelunterkünften« und die weitgehende Ersetzung der Sozialhilfe durch »Sachleistungen« obligatorisch gemacht.

Aus unterschiedlichen Gründen, vermutlich aber auch aufgrund der Verschärfung von Asylrecht und Asylpraxis, ging nach 1980 zunächst die Zahl der Antragsteller wieder stark zurück. 1981 waren es noch knapp 50.000, 1982 37.500 und 1983 wurde mit weniger als 20.000 ein Tiefpunkt erreicht. Seit 1984 stiegen die Zahlen jedoch wieder steil an und erreichten 1986 erneut die 100.000-Marke.

Inzwischen hatte sich der schon in den siebziger Jahren aufgetretene Trend erneut verstärkt, dass die Mehrheit der Asylsuchenden aus Ländern der »Dritten Welt« stammte. 1981–84 kam nur noch ungefähr ein Drittel der Antragsteller aus europäischen Ländern, 1985 und 1986 sogar nur ein Viertel. Etwa die Hälfte aller Asylsuchenden oder etwas mehr kamen in diesen Jahren aus Asien, vor allem aus Sri Lanka, wo Bürgerkrieg und Massaker tobten, daneben aus Iran, Afghanistan, Pakistan, Libanon u. a.

In dieser Situation wurde zum zweiten Mal verschärft über den »Asylantenandrang« und die drohende »Überflutung« gezetert. Franz Josef Strauß: »Es strömen die Tamilen zu Tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben« (zit. nach Spiegel Nr. 8/1985). Heinrich Lummer, Westberliner Innensenator: »Wir haben ein Asylrecht, da kann die ganze Rote Armee kommen und der KGB dazu. Wenn die an unserer Grenze nur das Wort ›Asyl‹ sagen, können wir sie nicht zurückschicken« (zit. nach Spiegel Nr. 36/1985).

Umfragen zeigten, dass innerhalb von drei Jahren der Anteil der Bevölkerung, der die deutsche Asylpraxis für »zu großzügig« hielt, von 40 auf 72 Prozent angestiegen war (nach Spiegel Nr. 35/1986). Eine Welle ausländerfeindlicher Terrorakte ging durch das Land – auch wenn vor dem aktuellen Hintergrund beispielsweise die Zahl von 18 schweren Anschlägen auf »Ausländerunterkünfte« in den ersten neun Monaten des Jahres 1986 als relativ gering erscheinen mag.

Ebenfalls schon 1985/86 kam es auch zu ausländerfeindlichen Massenprotesten aus der Bevölkerung. An einigen Orten wurden »Bürgerwehren« gebildet und nach Waffenscheinen gerufen, weil man sich von Asylsuchenden »massiv bedroht« fühlte. Anderswo blockierten Bewohner eine geplante Unterkunft mit Sprüchen wie »Wenn hier erst die Schwarzen durchs Dorf streichen, bleiben doch die Touristen weg« (zit. nach Spiegel Nr. 39/1986). Der Spiegel heizte mit einer großen Serie über »Asylanten und Scheinasylanten« die Stimmung seiner Klientel noch weiter an. Überschrift: »Die Spreu vom Weizen trennen« (Nr. 35/1986 bis Nr. 40/1986).

Die Bundesregierung versuchte in erster Linie, und das mit sichtbaren Erfolgen, die Zahl der Asylsuchenden aus der »Dritten Welt« nach unten zu drücken. Da diese im wesentlichen auf die Luftwege angewiesen waren, fiel der Zugriff nicht schwer. Die Fluglinien hatte man ohnehin schon seit Beginn der achtziger Jahre schwer unter Druck gesetzt, keine Passagiere ohne Visum mitzunehmen. Nun verschärfte man die Situation noch, indem Reisenden aus etlichen »Problemstaaten« wie Libanon, Pakistan, Bangladesch u. a. selbst für kurze Zwischenlandungen im Bundesgebiet ein Transitvisum abverlangt wurde.

Eine Ergänzung war die Verschärfung der Asylrechtsprechung. Die bundesdeutsche Justiz bewies wieder einmal ihre außerordentliche Unabhängigkeit, indem sie die Anerkennungsquoten nach den politischen Tagesinteressen regulierte. Krassestes Beispiel: die tamilischen Flüchtlinge aus Sri Lanka. Nahezu 40 Prozent von ihnen wurden 1985 als asylberechtigt anerkannt. Dann kippte das Bundesverwaltungsgericht 1986 rund tausend dieser Entscheidungen. Die Anerkennungsquote für Tamilen sackte im Nu auf nur noch sechs Prozent in der ersten Jahreshälfte 1986.

Und wie sahen die materiellen Resultate hinsichtlich der Zahlen der Asylsuchenden aus? Insgesamt stiegen sie trotz der Kampagne von 1985/86 weiter an. Der Anteil von Zuwanderern aus der »Dritten Welt« wurde jedoch tatsächlich nachhaltig gesenkt, auf etwa ein Drittel aller Antragsteller (1991). Sogar die absoluten Zahlen belegen dies: Die Zahl der Asylsuchenden aus asiatischen Ländern sank von 56.600 im Jahr 1986 auf nur noch 16.000 1987 und 23.000 1988. Erst 1990 erreichte sie mit 61.000 ungefähr wieder das Niveau von 1986. Ähnlich, aber in geringerer Größenordnung, die Zahlen afrikanischer Asylsuchender: Ein Rückgang von 9.500 im Jahr 1986 auf 3.500 1987 und 6.500 1988; danach allerdings ein deutlicher Anstieg auf 24.000 1990. Es zeigt sich also, dass eine dauerhafte Senkung der Zahlen der Asylsuchenden allgemein und insbesondere der Menschen aus der »Dritten Welt« bisher trotz heftiger »Ausländerstopp«-Politik und Verschlechterung des Asylrechts gegen null nicht gelungen ist.


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NEUER BEITRAG17.02.2024, 18:29 Uhr
EDIT: FPeregrin
17.02.2024, 18:31 Uhr
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FPeregrin

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"Es zeigt sich also, dass eine dauerhafte Senkung der Zahlen der Asylsuchenden allgemein und insbesondere der Menschen aus der »Dritten Welt« bisher trotz heftiger »Ausländerstopp«-Politik und Verschlechterung des Asylrechts gegen null nicht gelungen ist."

Dies ist der faktische Kern für eine Argumentation, wie wir sie im propagandistischen Umgang in der Arbeiterklasse anwenden müssen, deren Konkurrenzangst ja nicht fantasiert, und daher vom Klassenfeind leicht instrumentalisierbar ist: Intendiertes Ziel und Ergebnis repressiver Einwanderungspolitik durch den Klassenfeind ist nicht Verhinderung von Migration, sondern deren Illegalisierung und damit die Rechtlosstellung ihrer Subjekte. Je elender deren allgemeinen Lebensbedingungen sind und je rechtloser ihr Status, desto niedrigere Ansprüche werden sie hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und der Entlohnung stellen können. Und je niedriger prekäre Löhne sind, desto niedriger sind auch die regulären und sogar die privilegierten. Dies sollte auf der Basis der alltäglichen Erfahrung vermittelbar sein. Der Kampf gegen repressive Migrationspolitik des Klassenfeinds und für die völlige rechtliche Gleichstellung migrierter wie "einheimischer" Bevölkerungsteile ist also nicht originäre Angelegenheit sentimentaler Sozialpfaffen, bürgerlicher Philanthropen und woker urbaner Taugenichtse, sondern direktes proletarisches Klasseninteresse!
NEUER BEITRAG26.05.2024, 13:36 Uhr
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FPeregrin

Geschichte der Migrationspolitik des dt. Imp. Wie die intellektuellen Kasperköppe des dt. Imp. das Asylrecht bzw. seine Verflüssigung diskutieren, zeigt ein SZ-Artikel von vorgestern:

Einwanderung:Warum Asylstandards keinen Ewigkeitswert haben

24. Mai 2024, 8:14 Uhr

Bei einem migrationspolitischen Forum wirbt der Europarechtler Daniel Thym für mehr Beweglichkeit auch bei Grundrechten - und bleibt wichtige Antworten schuldig.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es soll jetzt also eine "Dynamisierung" her und eine "Neujustierung" der Asylpolitik. Es soll auch Bewegung in die Köpfe kommen und hinterfragt werden, was viele als "Magna Charta" der Migrationspolitik betrachten.

Der individuelle Anspruch auf Asyl beispielsweise, auch der Schutz politisch Verfolgter durch das Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, das seien Fixsterne der Asylrechtsprechung, sagt der Asylrechtsexperte Daniel Thym. Ewigkeitswert aber hätten sie nicht. "Dynamik muss theoretisch möglich bleiben."

Daniel Thym, Europarechtler aus Konstanz, gehört zu den Beratern der Bundesregierung in Asylfragen; am Donnerstag hat er in Berlin zum "Migrationspolitischen Forum" geladen, zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Expertinnen und Experten aus Rechtswissenschaft und Migrationsforschung machten sich da auf die Suche nach Antworten in der heißgelaufenen Migrationsdebatte. Wie lässt sich das europäische Asylsystem reformieren? Sind die hohen Standards bei Grundrechten eigentlich absenkbar? Und was meinten die Väter und Mütter des Grundgesetzes genau, als sie in Artikel 16a schrieben "Politisch Verfolgte genießen Asyl"?

In Deutschland wird eine großzügige Asylpolitik als Lehre aus dem Holocaust betrachtet

Thym, der einst die Migrationspolitik von Angela Merkel in Schutz nahm, will da an mancher Gewissheit rütteln. "Im öffentlichen Diskurs ist die Einschätzung verbreitet, dass in Deutschland das Grundgesetz und international die Flüchtlingskonvention im Sinne eines Masterplans zeitlose Vorgaben niederlegten", sagte er zum Auftakt des Forums.

Eine großzügige Asylpolitik werde als Lehre aus dem Holocaust betrachtet und als Verpflichtung, "weltweit für alle Zeiten" effektiven Flüchtlingsschutz zu garantieren. Das aber beruhe auf einer "Idealisierung der Nachkriegszeit" - und auf dem Irrglauben, alle späteren Einschränkungen für Asylbewerber seien eine "Abkehr von der reinen Lehre".

Dem sei aber nicht so. Asylgesetzgebung sei immer im Fluss gewesen, sagt der Rechtswissenschaftler. Bis vor 30 Jahren habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alle Beschwerden zum Asylrecht zurückgewiesen, weil er gar nicht zuständig gewesen sei. Heute setze er europaweit hohe Standards in Asylentscheidungen. Einen Zuhörer veranlasste das später zur Bemerkung, das Gericht handle auf der Grundlage "dünner Vorschriften", es habe ein "Legitimitätsproblem". Thym hielt sich da vorsichtig bedeckt. Zu verzeichnen sei eine "Fluidität der Rechtsansichten", also Wandel, der weiter möglich bleiben müsse.

Michael Hoppe, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, richtete den Blick zurück in die Geburtsstunde des Grundgesetzes und in die Protokolle des Parlamentarischen Rates. Dort finde sich erstaunlich wenig zur Begründung, politisch Verfolgte schützen zu wollen. Ein Motiv sei das Non-Refoulement gewesen, also das Verbot, Menschen an ein Land auszuliefern, in dem ihnen Tod oder Folter droht.

Ansonsten habe man sich an den "allgemeinen Rahmen des Völkerrechts" gehalten, keine Vorgaben zur Flüchtlingsversorgung gemacht und nur Schwerverbrechern die Einreise verwehren wollen. Das Grundrecht auf Asyl blieb demnach ein Lückentext. "Es ist offensichtlich, dass sehr große Unklarheit herrschte oder man darüber nicht reden wollte, wen das eigentlich schützen wird", so Hoppe.

Asylpolitik als Instrument der Ausgrenzung

Nichts war und ist in Stein gemeißelt im Asylrecht, diese Botschaft war nicht zu überhören beim Migrationspolitischen Forum in Berlin. Aber es wurden auch andere Stimmen laut. Maria Alexopoulou, die an der Technischen Universität Berlin zu Einwanderungsgeschichte forscht, erinnerte an die Diskrepanz zwischen liberalen Gesetzestexten und oft rassistischer Asyl-Rhetorik. Schon 1951 warnte Kurt Breull, ein ehemaliger NSDAP-Mann und Referatsleiter des Bundesinnenministeriums, Deutschland dürfe nicht zum "Naturschutzgebiet für Ausländer" werden.

Als später Flüchtlinge aus dem kommunistischen Ungarn oder Vietnam kamen, sei der Begriff des "Wirtschaftsflüchtlings" entstanden, so Alexopoulou. Asylpolitik sei zum Instrument der Ausgrenzung geworden, zuletzt zum Inbegriff einer Katastrophe. Dem Artikel 16 des Grundgesetzes und dem moralisch guten Deutschland sei die "Figur des Scheinasylanten oder des Asylbetrügers" gegenübergestellt worden, so die Forscherin.

Nur - was heißt das für die Gegenwart? Wie sieht eine überzeugende "Dynamisierung" der Migrationspolitik aus in Zeiten wachsenden Drucks vor rechts? Konkrete Antworten bleiben die Referenten schuldig.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bleibt "herausragend wichtig"

Migrationsforscher Oliviero Angeli von der TU Dresden erinnerte daran, dass mit der Aufnahme von Kriegsflüchtlingen oft ein politischer Feind markiert werde. "Indem wir Asylsuchenden umgehend Asyl gewähren, verurteilen wir implizit das Herkunftsland." Die besonders großzügige Aufnahme von Ukrainern etwa ziele auf die russische Regierung. Ein Schutzbedarf aber, so Angeli, habe eigentlich nichts mit "Freund-Feind-Schemata" zu tun.

Dana Schmalz, Juristin am Max-Planck-Institut Heidelberg, betonte die Bedeutung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Er bleibe "herausragend wichtig" für den Schutz der Rechte von Migrantinnen und Migranten. Einerseits zeigten seine Entscheidungen, dass Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Schutz vor Folter oder erniedrigender Behandlung garantiert, "unangetastet" bleibe.

So sei Polen für die Zurückweisung Geflüchteter nach Belarus gerügt worden. Das strahle auf nationale Gerichte aus. Die britische Regierung sei bei ihren Abschiebungsplänen nach Ruanda gebremst worden. Zunehmend "restriktiv" aber entwickle sich die Rechtsprechung in Straßburg, wenn illegal Grenzen überschritten würden, obwohl es legale Zugangsmöglichkeiten gebe.

Viele Staaten probieren neue Modelle aus

Es blieb Gastgeber Daniel Thym überlassen, den Wandel des Asylrechts zusammenzufassen: von den rudimentären Anfängen über die "hoch komplizierten Verwaltungsverfahren" der 1990er-Jahre bis in die Gegenwart, in denen viele Staaten "neue Modelle ausprobieren". Welche hält Thym da für zukunftsweisend? Wie könnte das Gemeinsame Europäische Asylsystem ertüchtigt werden, ohne Grundrechte zu beschneiden?


Die Antwort fiel am Donnerstag eher kurz aus: "Darauf habe ich keine mögliche Antwort." Anstelle "einseitiger Restriktionen", die viele Regierungen anstrebten, müsse es einen Ausgleich von staatlichen Interessen und Flüchtlingsschutz geben.

"Es darf also bei der Dynamik um keinen versteckten Asylstopp gehen, wie ihn rechte Akteure fordern", sagte Thym. Er habe aber auch Sympathien für Modelle wie in den USA, wo illegal eingereiste Asylbewerber bestimmter Herkunftsländer nach nur zweitägiger Anhörung abgewiesen werden könnten, wenn sie damit nicht inakzeptablen Gefahren ausgesetzt würden. Gleichzeitig bekämen Zehntausende aus den gleichen Ländern aber auch eine Einreiseerlaubnis samt Arbeitsgenehmigung. Nur einen Haken habe die Sache: "In der Praxis funktioniert das vorne und hinten nicht."

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