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Watson und Crick, Entdecker der "Doppelhelix" |
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Über Mendel (Postulierung von Erbelementen) und der Entdeckung von Chromosomen im 19. Jahrhundert sowie der Definition des Begriffs „Gen“ (1909), des Nachweises, dass Nukleinsäuren die Träger der Erbsubstanz sind (1944) (siehe Gene, Eiweiße und Evolution), der Entdeckung, dass die Erbinformation in einer Doppelhelix organisiert ist (1953) und des Nachweises, dass die Erbkrankheiten Phenylketonurie und Sichelzellanämie durch eine Mutation in einem Gen bedingt sind (60er Jahre) hat eine „Genetisierung“ unseres Lebens stattgefunden. In unserer Gesellschaft hat sich ein Erbparadigma breit gemacht, nach dem auch normale Eigenschaften, Charakter und psychische Ausprägungen als im Wesentlichen vererbt gelten. Dies wird begünstigt durch die vererbungstheoretische Fundierung der Medizin (vgl. von Schwerin S.9 – siehe Quellenliste auf Seite 44).
Hieraus ergab sich ein allgemeines Interesse an der Genomforschung.
Aus „menschelnder“ Sicht liegt der Genomforschung die Frage zu Grunde, warum unterscheiden wir uns von Tieren oder von anderen Individuen? Warum entwickeln wir uns zu dem, was wir sind?
Aus unternehmerischer Sicht: die Erwartung einer profitabel vermarktbaren Ressource für Diagnostik und Therapie, aber auch gentechnischer Veränderung von z.B. Nutztieren und Nutzpflanzen.
Dank einer gut laufenden Public Relations-Maschinerie sollen wir uns von der Genomforschung neben den Einblicken in unser Selbst, die Möglichkeit zur Heilung von Krankheiten insbesondere von Krebs, neurologischen Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Alzheimer oder auch von Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhoffen. Es soll die Möglichkeit zur Entwicklung besserer, spezifischerer und verträglicherer Medikamente und Behandlungsverfahren entstehen. Der Spiegel schreibt hierzu: 1. Die Erkenntnisse der Genomforscher werden es den Ärzten ermöglichen, die individuellen Erbanlagen ihrer Patienten zu bestimmen und die Behandlung darauf abzustellen; und 2. Die Genanalyse wird offenbaren, von welchen Leiden einem Patienten besondere Gefahr droht; die Mediziner werden deshalb nach Wegen suchen, deren Ausbruch zu verzögern oder zu verhindern (Das entschlüsselte Genom, Der Spiegel 15/2000).
Craig Venter, „der Protagonist“ des Genom-Projekts von Celera sagt: „Mit der Genomik verändert sich die Lage von Grund auf, da sie erlaubt, nicht mehr ein einzelnes Gen, sondern alle Gene, alle Proteine und alle Funktionen auf einmal zu untersuchen. Jede menschliche Krankheit wird sich in Zukunft anders behandeln lassen, und früher oder später wird diese Veränderung auf jeden Sektor der Humanbiologie übergreifen.“ (aus FTE Sonderausgabe, Januar 2001, Diskussionen um das Genom, http://europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/de).
Das waren der Hintergrund und die Erwartungen, als im Jahr 2001 die „Entschlüsselung“ des menschlichen Genoms der Weltöffentlichkeit vorgestellt wurde.
Genomforschung
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meint in erster Linie die „systematische“ und koordinierte Entschlüsselung des Genoms durch das Human Genome Project (HGP) unter der Ägide der „Human Genome Organization (HUGO)“, das neben staatlichen Mitteln auch von Amersham, Aventis (der Zusammenschluss von Hoechst und Rhône-Poulenc), Novartis (Zusammenschluss der schweizer Konzerne Ciba-Geigy und Sandoz) u.a. gesponsert wird, und durch das rein privat finanzierte Projekt von Celera Genomics.
Das internationale Sequenzierkonsortium des HGP unter Leitung des HUGO bestand im Jahr 2001 als loser Verband nationaler Genomforschungsprojekte aus weltweit über 30 Ländern. Begonnen wurde mit der Arbeit 1990. Beteiligt sind Forschungseinrichtungen u.a. aus den USA, Großbritannien, Japan, Frankreich, Deutschland (seit 1995) und China (seit 1999)1 . Die Gesamtkosten der Arbeitsversion liegen weltweit bei 300 Mio $. Unter Einrechnung von Kosten für nötige Technologieentwicklungen, Funktionsanalysen, Sequenzierung2 von sog. Modellorganismen (Maus, Wurm, Fliege und Bakterien), Untersuchungen zu genetischen Erkrankungen sowie zu ethischen und rechtlichen Fragestellungen wurden für den Zeitraum von 1990-2005 Kosten von 3 Milliarden Dollar veranschlagt (nano online 26.06.2000).
Das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung), das mit der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) das Deutsche Human Genom Projekt (DHGP) trägt, definierte nüchtern folgende Ziele und Schritte für das HGP (BMBF 2001):
1. Verständnis des menschlichen Organismus auf molekularer Ebene durch umfassende Analyse der DNA-Sequenz, durch systematische Identifizierung und Charakterisierung von Struktur, Funktion und Regulation menschlicher Gene, insbesondere medizinisch relevanter.
2. Dies soll zum Ansatzpunkt für das Erkennen und Behandeln von Krankheitsursachen werden. Genetische Veränderungen im Entstehungskomplex von ca. 10.000 Krankheiten werden vermutet.
Auch das BMBF sieht ein, dass dieser Prozess nicht trivial ist. Zunächst musste die Abfolge aller 3,2 Mrd. Basenpaare bestimmt werden, um eine Katalogisierung des Genoms vornehmen zu können, ohne die das System undurchschaubar wäre (BMBF 2001, u.a. S.8 u.17). Da nur 1-2% der genomischen Buchstabenreihe auch wirklich Gene sind und auf Grund der Methoden
3, die verwendet wurden, ist es ein schwieriges Unterfangen, Gene zu „entdecken“. Mit enormer EDV-Leistung mussten und müssen die Sequenzen zunächst überprüft werden und mit vorhandenen „Gen“-Datenbanken verglichen werden.
Sowohl die bereits identifizierten (15.000) – was ohne die „konventionelle“ Forschung der letzten 30 Jahre nicht möglich gewesen wäre – und die durch Berechnungen vorausgesagten Gene (ca. 17.000) (Genangaben nach BMBF-2001) stellen für die Biotechnologie Goldadern dar und die Claims werden dank reichlich fließender Börsengelder und Patente abgesteckt.
4 Die PostgenomäraDie Leistung der beiden Genom Projekte, des internationalen HGP und des Genomprojekts von Celera besteht in der nahezu vollständigen Sequenzierung und Kartierung des menschlichen Genoms. Mit Schrecken aber mussten die Wissenschaftler und noch viel mehr die privaten Geldgeber im Jahr 2001, „dem Jahr der Entschlüsselung“, konstatieren, dass das menschliche Genom tatsächlich nur aus ca. 32.000 Genen besteht
5.
Der Mensch besitzt aber ca. 500.000 bis eine Million verschiedene Proteine. Das war ein Schlag gegen die ganze bisher vorherrschende Denkwelt. Die Hypothese der Molekularbiologie und Molekulargenetik, nach der ein Gen für ein Protein kodiert, griff zu kurz. Dies zeichnete sich zwar schon Ende der neunziger Jahre ab, aber die Wissenschaftler des humanen Genomprojekts konnten weder sich noch ihren Geldgebern ihren Denkfehler und konzeptionellen Fehler eingestehen. Die in Gang geratene bürokratische, technische und ökonomische Maschinerie musste und muss weiter laufen (Strohman 2001). Wie lässt sich so ein Projekt retten, ohne die bisherige Denkweise vollends aufgeben zu müssen und ohne die Geldgeber zu vergraulen? Man formuliert neue Ziele und schafft neue Projekte, mit denen der Mythos des Genoms nicht verloren geht. An die Sequenzierung, Kartierung und Identifizierung der Gene schließt sich die Erforschung der Funktion und Regulation
6 von DNA-Abschnitten, Genen und Genabschnitten an. Die Postgenomära hat bereits angefangen. Schlagwort ist die funktionelle Genomanalyse mit den Aspekten
– Expression und Genregulation u.a. durch Analyse von Modellorganismen
– DNA-Chip-Technologie
– Proteom
– Identifikation von sog. Zielmolekülen für die Pharmaindustrie
Diese Begriffe finden sich auch in der Beschreibung der zweiten Projektphase des DHGP. Die Zielsetzung des DHGP ist die Identifikation der Funktion der Gene: welche Proteine werden durch ein Gen kodiert, wie interagieren sie, welche Funktion kommt ihnen in einer Zelle zu. „Gesunde (!!!) Gene“, so das BMBF, müssen mit den entsprechenden defekten (!!!) Genen verglichen werden, um die Krankheitsentstehung zu verstehen (BMBF 2001, S8). Wir wissen nichts, nur was gesund und was defekt ist allemal!
Beispielhaft wollen wir den Komplex
Proteom und Proteomicsbetrachten. Proteom steht für die Gesamtsumme der vielen verschiedenen Proteine eines Organismus, sowie Genom für die Gesamtheit aller Gene eines Individuums steht.
Ca. 32.000 Gene kodieren für ca. 500.000 bis 1 Million verschiedene Proteine. Die Potenzierung von so wenigen Genen in so viele unterschiedliche Proteine kann nur partiell dadurch erklärt werden, dass während und nach Transkription (Umschreibung von DNA in RNA) und Translation (Übersetzung einer RNA-Sequenz in Aminosäureabfolge eines Proteins) Modifikationen der Information bzw. des Moleküls stattfinden. Es wird vermutet, dass ein Gen für 6 bis 8 verschiedene Proteinprodukte kodiert. Hinzu kommt, dass diese Eiweiße durch chemische/enzymatische Prozesse weiter verändert werden können: Anheften von Zucker- und Phosphatmolekülen sowie enzymatische Spaltung (Mertens, 2003).
Ein Genetiker kann mit der reinen DNA-Sequenz nicht viel anfangen. Erst wenn man die Abschnitte gefunden hat, die für ein gesamtes Protein oder einzelne Proteinabschnitte kodieren, wird es für die Wissenschaft spannend und für die Pharmaindustrie unter Umständen lukrativ.
Proteine werden gerne als kleine dreidimensionale Maschinen beschrieben. Einige Proteine arbeiten als Enzyme, die chemische Reaktionen hundertfach beschleunigen, andere bewerkstelligen Bewegung oder sind Bestandteil von stabilisierenden Fasern in der Zelle oder im Bindegewebe, andere sind Botenstoffe (z.B. Hormone), die über die Blutbahn durch den ganzen Körper zirkulieren, andere sind Rezeptoren, die ein Signal von außerhalb einer Zelle umformen und ins Innere der Zelle weiterleiten und dort eine Kaskade von weiteren Proteinen den Stoffwechsel und die Aktivität von Genen steuern. „Proteine sind gleichzeitig Produkte der Gene und Herrscher über deren Funktion“ (Mertens, 2003).
„
Das Proteom (indes) definiert den jeweils aktuellen Zustand einer Zelle, bzw. eines Organs und letztlich des gesamten Phänotyps. Es geht um das Verständnis des individuellen lebendigen Menschen auf molekularer Ebene“ (Tiedemann 2000, aus von Schwerin, S.45). Kein Wunder, dass Forschung und Industrie an der Proteinforschung interessiert sind, um mehr über Funktion, Struktur und Nutzbarmachung zu lernen. Nicht zuletzt lassen sich Aktionären und sonstigen Geldgebern leichter die Funktion, Nutzen und mögliche industrielle/kommerzielle Verwendung eines konkreten Proteins als einer abstrakten Gensequenz erklären. In diesem Zusammenhang ist die Proteomik ein Wolf im Schafspelz. Der Begriff der Proteomik ist zwar neu, aber die Denk- und Arbeitsweise ist wesentlich älter als die der Genomik. So wie Proteom und Genom zusammenhängen, hängt auch die Proteomik mit der Genomik zusammen.
So wie die Gestalt und das Wesen eines Organismus in der Genomik auf die Gene reduziert wird, so wird in der Proteomik Funktion, Entwicklungsstand und Fertigkeiten einer Zelle oder eines Organismus auf das Vorhandensein und die Funktionsweise von Proteinen reduziert.
Im Gegensatz zu einer im Großen und Ganzen noch spekulativen Genomik ist die Proteomik wesentlich handfester. Dies begründet sich darin, dass:
1. nicht mit einer kodierenden Buchstabenabfolge gearbeitet wird, deren Information erst noch in ein Produkt umgesetzt werden muss, auf dem Weg dorthin noch mannigfach modifiziert werden kann und im aktuellen Stoffwechsel des Körpers/der Zelle schläft, sondern dass das fertige Endprodukt, als physiologische Größe im Zentrum der Arbeit steht (von Schwerin S.48).
2. seit Jahrzehnten wesentlich mehr Wissenschaftler und Arbeitsgruppen (Proteinchemiker und Biochemiker in den Bereichen Biologie, Chemie, Pharmazie und Medizin) an und mit Proteinen gearbeitet haben und die Erfahrungen größer und Erkenntnisse breiter sind.
3. die Proteomik die wesentlich komplexere Situation eines Organismus erkennt und nicht in gleichem Maße simplifiziert wie es die Genomik nach außen hin tut.
Dies trifft aber nur solange zu, wie Proteine nicht als Ausfluss einer genetischen Information und begrifflich Genmaschine durch Proteinmaschine ausgetauscht wird (von Schwerin S.45f).
Denn darin liegt der wesentliche Mangel in der Denkweise: im biologischen Reduktionismus und Determinismus.
Exkurs: Genetischer Determinismus/Genetischer Reduktionismus
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In unserer wissenschaftlichen Denkstruktur bestand und besteht die Tendenz Phänomene mechanisch-materialistisch erklären zu wollen, quasi auf eine korpuskuläre Ursache (physikalische und chemische Wechselwirkung von Atomen) zurückzuführen. Die Molekularbiologie und die Molekulargenetik haben ihr Korpuskel im Genom gefunden, das es nur zu entschlüsseln und zu verstehen gilt, um die Natur des Menschen erklären zu können.
Reduktionismus bedeutet nach Duden : Isolierte Betrachtung von Einzelelementen ohne ihre Verflechtung in einem Ganzen oder von einem Ganzen als einfacher Summe aus Einzelteilen unter Ãœberbetonung der Einzelteile, von denen aus generalisiert wird.
Diesen Reduktionismus findet man sehr stark in der Molekularbiologie und noch viel stärker in der Molekulargenetik, die die Methoden der Molekularbiologie nutzt: Das Verhalten eines Organismus/des Ganzen soll auf physikalische und chemische Interaktionen zurückgeführt werden und wird darauf zurückgeführt. „Unabhängig von den jeweiligen (der Molekularbiologie bzw. Molekulargenetik) speziellen Interessen an Proteinen, Hormonen oder anderen Biomolekülen ist die DNA der konzeptuelle Ausgangspunkt (=DNA als Schlüsselmolekül), von dem aus die Molekularbiologie verstanden wird.“ (nach von Schwerin S.15)
Nach dem Bundesministerium für Bildung und Forschung ist im Genom nicht nur festgelegt, welche Eigenschaften vererbt werden, es steuert auch die Zellteilung und alle übrigen zellulären Prozesse und damit Wachstum und Lebensvorgänge eines Organismus überhaupt (BMBF 2001). Dies ist Reduktionismus pur und weist auf den damit verbundenen Determinismus hin. Determinismus sagt, dass sich aus einer bestimmten Ursachenkonstellation eine genau bestimmte Wirkung stets ergibt.
Das Grundprinzip der genetischen Denkweise besteht darin, dass der Genotyp den Phänotyp bestimmt. Die biologische Theorie des genetischen Determinismus geht damit davon aus, dass sich also aus einer bestimmten genetischen Ausstattung ein Erscheinungsbild (Phänotyp) eindeutig ableiten lässt, dass mit Genen bzw. DNA alle komplexen Merkmale eines Organismus erklärt werden können.
Der genetische Determinismus kann auf Mendel zurückgeführt werden. „Aus den Mendel’schen Regeln ergibt sich die Annahme, dass ein Merkmal bzw. das Symptom einer Krankheit auftritt oder nicht, je nach dem ob ein Gen vorhanden ist oder nicht. Und entsprechend der Verteilungsmöglichkeiten der Gene bei der Reifung der Keimzellen und bei der Befruchtung erfolgt das Auftauchen und Verschwinden eines Merkmals oder einer Krankheit von Generation zu Generation regelhaft. Diese Regeln werden durch die Mendel’schen Erbgänge beschrieben. Viele Merkmale verhalten sich aber nicht entsprechend der Annahmen. Für sie kann nicht ohne weiteres ein Erbgang gefunden werden. Um diese ‚Unregelmäßigkeiten‘ in die Mendel’sche Theorie integrieren zu können, wurden ergänzende Konzepte eingeführt, also Zusatzannahmen, die die grundlegende Theorie nicht in Frage stellten. Die Konzepte der Expressivität (die Ausprägung von Merkmalen wird nicht allein durch Gene bestimmt) und der Penetranz (ein Merkmal kann zwischendurch nicht auftreten, obwohl das Mendel’sche Gen vorhanden ist) sind Beispiele hierfür.“ (von Schwerin S.11ff.) Statt dieser Ausflüchte, um die alte Denkweise zu retten, werden heute Ansätze diskutiert, die die Regulation der Gene als dynamischen Prozess verstehen: Das Innen und das Außen einer Zelle stehen über Rezeptoren und Botenstoffe in einem ständigen Kontakt. Kommt ein Signal von außen, wird es transformiert, über Signalkaskaden kommt es z@ü–&V