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LEIPZIG (16.09.2013) - Ein Wissenschaftler der Universität Leipzig wirft deutschen Spitzenjournalisten die Übernahme von Techniken und Begriffen der Kriegspropaganda vor. Laut Uwe Krüger vom Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung der sächsischen Hochschule spielt "Frieden als Wert an sich" in führenden deutschen Printmedien "keine Rolle". Vielmehr erachteten die dort beschäftigten Redakteure und Ressortchefs den "Einsatz und Verlust von Menschenleben" als "hinnehmbar und sogar geboten". Insgesamt herrsche eine "starke Identifikation mit dem Westen" und seinen militärpolitischen Organisationen vor, die dazu führe, dass Gegner als "Barbaren" erschienen, denen mit "kalter Entschlossenheit" begegnet werden müsse. Entsprechende Überzeugungen sollen Krüger zufolge durch "gebetsmühlenartige" Wiederholungen und die Anwendung "argumentativer Tricks" in der Bevölkerung verankert werden. Hintergrund ist nach Auffassung des Wissenschaftlers die "Einbettung" der Autoren in Netzwerke des "transatlantischen Elitenmilieus".

In wichtigen Fragen geeint

In seiner unlängst unter dem Titel "Meinungsmacht" erschienenen Doktorarbeit befasst sich Uwe Krüger vom Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung der Universität Leipzig mit dem "Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten".1 Untersucht wird die Berichterstattung führender deutscher Zeitungen über die Themen "Sicherheit, Verteidigung und Auslandseinsätze der Bundeswehr". Dabei lässt sich der Wissenschaftler nach eigenem Bekunden von der Annahme leiten, "dass eine konsensuell geeinte Elite in wichtigen Fragen (Krieg und Frieden, makroökonomische Ordnung) gegen die Interessen eines Großteils der Bevölkerung regieren kann und dass journalistische Eliten zu stark in das Elitenmilieu eingebunden sein könnten, um noch als Anwälte des öffentlichen Interesses kritisch-kontrollierend zu wirken". Diese Hypothese wird vollauf bestätigt: Wie Krüger nachweist, entspricht das von deutschen Spitzenjournalisten entworfene "Bild von Bedrohungen und Konflikten" nahezu exakt demjenigen offizieller militärpolitischer Doktrinen; vermittelt wird es unter Zuhilfenahme von "Propagandatechniken".

NATO-Milieu

Im Zentrum der Analyse des Leipziger Kommunikationswissenschaftlers stehen vier bei deutschen "Leitmedien" beschäftigte "Elitejournalisten": der für Außenpolitik verantwortliche Redakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ), Klaus-Dieter Frankenberger, der Mitherausgeber des Wochenblattes "Die Zeit", Josef Joffe, der Ressortleiter Außenpolitik der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), Stefan Kornelius, und der Chefkorrespondent der "Welt", Michael Stürmer. Wie Krüger mittels einer "Netzwerkanalyse" ermittelt hat, verfügen alle vier über "ausgeprägte Ego-Netzwerke im transatlantischen Elitenmilieu". So unterhalten sie etwa enge Verbindungen zur Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einem Think-Tank politischer und militärischer Führungszirkel. Kornelius und Frankenberger gehören darüber hinaus dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) an. Die staatliche Einrichtung ist dem Verteidigungsministerium zugeordnet und bezeichnet sich selbst als "höchstrangige, ressortübergreifende Weiterbildungsstätte" auf dem Gebiet der Militärpolitik (german-foreign-policy.com berichtete2). Laut Krüger bleibt die "Einbettung" der Journalisten in die besagten "Elitennetzwerke" nicht ohne Einfluss auf ihre Berichterstattung; diese spiegelt vielmehr "im US- und NATO-geprägten Milieu" vertretene Auffassungen wider.

Der Westen und die Barbaren

Den Nachweis hierfür erbringt der Leipziger Forscher durch eine ausführliche Inhaltsanalyse der von Frankenberger, Joffe, Kornelius und Stürmer verfassten Artikel über militärpolitische Themen. Alle vier, so sein Befund, huldigen dem von Bundesregierung und NATO verfochtenen "erweiterten Sicherheitsbegriff", der nicht mehr die Abwehr militärischer Angriffe auf das eigene Territorium meint, sondern einen ganzen "Bedrohungskatalog" umfasst. Analog zu seinen Kollegen fordert etwa Stürmer eine "in Reichweite, Technik und Führung weit gespannte Vorfeldverteidigung" gegen eine "Bedrohung durch Terror und Massenvernichtungswaffen, Cyberwar und organisiertes Verbrechen, Klimawandel und Völkerwanderungen". Alle vier Journalisten sind sich laut Krüger zudem darin einig, dass die Bundesregierung gehalten ist, "den Bürgern die Notwendigkeit des Militäreinsatzes in Afghanistan zu vermitteln": Während Frankenberger offen einem entsprechenden "Meinungskampf an der Heimatfront" das Wort redet, verlangt Stürmer ein offizielles Bekenntnis zu einem "kraftvolle(n) Krisenmanagement", das sich nicht scheut, "ins militärische Fach zu greifen". Insgesamt attestiert Krüger den vier Publizisten, dass "Frieden als Wert an sich" in ihren Artikeln "keine Rolle" spielt und auch die dahingehenden Aussagen des Grundgesetzes und des Völkerrechts bei ihnen "keine Resonanz" finden. Der "Einsatz und Verlust von Menschenleben" erscheine folgerichtig als "hinnehmbar und sogar geboten". Teilweise geht die "Identifikation mit dem Westen" laut Krüger so weit, dass Gegner kurzerhand als "Barbaren" diffamiert werden (Stürmer), denen man nur mit "kalter Entschlossenheit" begegnen könne (Frankenberger).

Ignoriert und marginalisiert

Ausgehend von diesem Befund untersucht der Leipziger Kommunikationsforscher abschließend, ob auch "Leitmedien im Ganzen (...) dazu neigen, lediglich den Elitendiskurs abzubilden und abweichende Argumente und Sichtweisen zu ignorieren oder zu delegitimieren". Die Datenbasis hierfür liefert ihm die Berichterstattung über die alljährlich stattfindende "Münchener Sicherheitskonferenz" (MSC), bei der vorrangig aus NATO-Staaten stammende Militärs, Politiker und Rüstungsindustrielle zusammenkommen (german-foreign-policy.com berichtete3). Sein Fazit fällt eindeutig aus: "Die 'Welt', die FAZ und die SZ bildeten den Diskurs auf der MSC umfangreich ab und bewerteten die Institution MSC durchweg neutral bis positiv, während sie (...) Proteste ignorierten (FAZ), marginalisierten ('Welt') oder als reines Lokalphänomen behandelten (SZ) und dabei teilweise stark negativ bewerteten." Das Ergebnis verwundert insofern nicht, als die vier "Elitejournalisten" Frankenberger, Joffe, Kornelius und Stürmer zu den regelmäßigen Teilnehmern der Münchener Tagung zählen. Die "Süddeutsche Zeitung" veröffentlicht darüber hinaus jedes Jahr eine sechsseitige Sonderbeilage zur MSC - laut Außenpolitik-Ressortleiter Kornelius eine "gedruckte Sicherheitskonferenz".


Anmerkungen:
1 s. hierzu und im Folgenden: Uwe Krüger: Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten - eine kritische Netzwerkanalyse. Reihe des Instituts für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung 9, Köln 2013
2 s. dazu Führungsmacht Deutschland
3 s. dazu Die Geopolitik der Energie, Fest integriert, Auf dem Radarschirm der Weltpolitik und Munich Young Leaders


 
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